Emma traut sich was
interessant oder rätselhaft aussah. Oder beides.
Kurz bevor wir den Hof erreicht hatten, kam uns Klaus auf seinem Moped entgegen. Er fuhr mit Vollgas an uns vorbei und wirbelte jede Menge Staub auf dem trockenen Weg auf. So ein Idiot!
»Das war Klaus, mein Bruder«, erklärte ich, nachdem sich die Staubwolke halbwegs verzogen hatte und ich Bastian wieder sehen konnte.
»Ich glaube, den hab ich schon mal gesehen«, sagte Bastian. »Geht er auch auf unsere Schule?«
Ich nickte. »Ja, leider. Er spinnt ein bisschen, aber davon abgesehen ist er harmlos.«
Wir liefen auf den Hof. Es standen ein paar fremde Autos herum und ich bekam einen Riesenschreck. Fand heute etwa wieder einer von Gesas und Mamas Kursen statt? Mist, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht! Es wäre natürlich ziemlich peinlich, wenn Bastian mitbekam, was für merkwürdige Leute bei uns herumliefen.
Ich lauschte, aber alles war ruhig. Weit und breit kein Mensch in Sicht. Und ich konnte auch nicht das leiseste Brummen hören. Erleichtert atmete ich auf.
Ich versuchte, unser Haus mit Bastians Augen zu sehen und stellte fest, dass es in der Nachmittagssonne richtig nett und gemütlich aussah. Die Butzenscheiben glitzerten im Sonnenlicht und über den Fenstern rankte wilder Efeu bis zum Dach hinauf. Neben der grün gestrichenen Eingangstür stand eine alte Holzbank. Da saß zwar nie jemand, aber die Bank machte trotzdem irgendwie einen einladenden Eindruck.
»He, euer Haus ist ja total schön«, sagte Bastian und blieb mitten auf dem Hof stehen. »Sieht aus wie ... wie im Märchen. Richtig altmodisch und romantisch. War das früher mal ein Bauernhof?«
»Ja, genau.« Ich zeigte auf Papas Atelier. »Das war die Scheune, da drüben stand der Kuhstall und in unserem Haus hat die Bauernfamilie gewohnt. Als meine Eltern den Hof gekauft haben, war er total verfallen. Wir haben alles selbst renoviert. Na ja, besser gesagt, meine Eltern. Das hat eine halbe Ewigkeit gedauert.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Bastian. »Ist aber richtig schön geworden. Wir wohnen in einer stinknormalen Mietwohnung. Du hast es echt gut.«
»Komm, wir gehen in den Garten.« Ich nahm Bastians Hand und zog ihn hinter mir her. Am besten verschwanden wir, bevor uns doch noch jemand über den Weg lief und sich daneben benahm. Bei meiner Familie und unseren WG-Mitbewohnern konnte man nie wissen. Und Bastian sollte auf keinen Fall denken, dass ich mit lauter Verrückten zusammenwohnte. Das tat ich zwar irgendwie, aber das musste ich ja nicht gleich jedem auf die Nase binden.
»Wo sind denn deine Leute?«, fragte Bastian. »Ist niemand zu Hause?«
»Nö, ich glaube, die sind alle unterwegs«, sagte ich vage. »Ein Glück, dann haben wir wenigstens unsere Ruhe.«
Es war der perfekte Zeitpunkt für unseren ersten Kuss. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, wir hatten den ganzen Garten für uns und niemand würde uns stören. Ich beschloss, die Sache möglichst schnell hinter mich zu bringen.
Aber als ich mit Bastian gerade zwischen den Rhododendronbüschen verschwinden wollte, ging die Haustür auf und Oma kam heraus.
»Ach, Emma, da bist du ja!«, rief sie. »Komm doch mal her, ich möchte dir jemanden vorstellen.«
Ich seufzte. Mist! War ja klar gewesen, dass noch irgendetwas dazwischenkommen würde.
»Das ist meine Oma«, erklärte ich Bastian. »Komm, wir sagen kurz Hallo, geht auch ganz schnell.«
Also lief ich mit Bastian im Schlepptau auf Oma zu.
»Das ist Bastian«, sagte ich. »Du weißt schon, der Junge aus meinem Schwimmverein.«
»Aaaah«, sagte Oma. »Du bist also der berühmte Bastian. Emma hat mir schon viel von dir erzählt.«
Bastian wurde rot und ich sah Oma wütend an. »Oma!!!«
»Was denn?« Oma machte ein unschuldiges Gesicht. »Stimmt doch, oder?«
»Wie siehst du überhaupt aus?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln. »Ist das jetzt etwa die neueste Mode?«
Oma trug eine eng anliegende Gymnastikhose, in der sie aussah wie eine Wurst in der Pelle, ein weites, bunt geblümtes T-Shirt und ein weißes Stirnband.
»Schick, was?«, fragte Oma. »Die Hose hat mir Gesa geliehen. Gleich fängt doch der Wochenend-Yogakurs an und da machen wir natürlich mit. Hinterher wird indisch gekocht. Lasst euch also noch etwas Platz fürs Abendbrot.«
»Wir?«, fragte ich. »Wer ist denn wir?«
»Na, Gerhard und ich, natürlich«, erklärte Oma. »Wo steckt er denn eigentlich? Ich wollte euch doch miteinander bekannt machen. Gerhard! Komm doch mal
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