Emma traut sich was
dann brauchst du wohl eine Brille«, murmelte sie schließlich und klemmte sich ihren unförmigen Schulranzen unter den Arm.
Mona läuft nämlich immer mit so einem uralten Lederranzen durch die Gegend, den Gesa vermutlich auf irgendeinem Flohmarkt aufgetrieben hat. Der stammt bestimmt noch aus dem letzten Jahrhundert. Zumindest sieht er so aus. Natürlich machen sich immer alle darüber lustig, aber das stört Mona offenbar nicht.
»Ich muss jetzt zum Bus«, sagte sie, ohne mich anzuschauen. »Bis später.« Bevor ich noch etwas sagen konnte, schlurfte sie auch schon los. Mit ihrem komischen Ranzen und dem braunen Kartoffelsackkleid sah sie selbst aus, als würde sie aus dem letzten Jahrhundert stammen. Bloß die Sandalen passten nicht so ganz ins Bild. Plötzlich tat mir Mona richtig Leid. Es sah ziemlich traurig aus, wie sie so ganz alleine zur Bushaltestelle trabte. Ich fühlte mich auf einmal richtig mies. Immerhin war ich heute schon zwei Mal vor ihr weggelaufen. Und gerade eben hatte ich sie auch noch angeschwindelt.
Irgendwie kam es mir so vor, als würde ich neuerdings in zwei Welten leben. In Tupfingen war ich mit Mona mehr oder weniger befreundet. Wir teilten uns ein Zimmer und verstanden uns richtig gut. Meistens zumindest. Aber hier in Dederstadt war alles ganz anders. Hier konnte ich nicht mit Mona befreundet sein, weil sich dann alle über mich lustig machen würden. Und was war mit Bastian? Wahrscheinlich würde er mich für total bescheuert halten, wenn ich in der Schule ständig mit Mona herumlief. Und Lea sowieso.
Eine leise Stimme in meinem Kopf flüsterte: ›Na und? Kann dir doch egal sein, was die anderen denken!‹
Aber es war mir nun mal nicht egal. Ganz und gar nicht sogar.
›Feigling, Feigling!‹, zischte die Stimme.
Blöde Stimme! Ich hatte keine Ahnung, wo sie plötzlich herkam und was sie in meinem Kopf zu suchen hatte. Ich beschloss, einfach so zu tun, als hätte ich nichts gehört.
»So, da wären wir«, sagte Papa und hielt mir die Tür auf. »Tatata! Willkommen in meinem kleinen Palast. Treten Sie ein, gnädige Frau.«
Ich schlüpfte unter Papas Arm hindurch und schaute mich um. Es war noch schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte. Papas Pensionszimmer war klein, dunkel und es roch muffig. Das Fenster ging auf den Hinterhof hinaus. Hier schien bestimmt nie die Sonne herein. Die Gardinen waren schmutzig gelb und sahen total schmuddelig aus. Auch das restliche Zimmer war offenbar länger nicht mehr gründlich sauber gemacht worden. Und wenn mir so was auffällt, will das schon was heißen. Eigentlich finde ich Putzen nämlich ziemlich überflüssig.
»Ist doch ... ganz nett«, sagte ich schließlich. »Immerhin hast du ein eigenes Waschbecken.« Ich zeigte auf das kleine Waschbecken an der Wand.
Papa nickte. »Ja, das ist wirklich praktisch. Die Dusche ist nämlich auf dem Flur und die Toilette auch. Morgens kann es da schon mal einen kleinen Stau geben, wenn alle gleichzeitig duschen wollen.«
Ich setzte mich vorsichtig auf die Bettkante. Das Bett knarrte, aber wenigstens krachte es nicht zusammen. Besonders stabil sah es allerdings nicht aus.
»Aber wo malst du denn jetzt? Hier drinnen ist es doch viel zu dunkel, oder?«, fragte ich.
»Stimmt, das Licht ist nicht gerade optimal. Und der Platz würde auch nicht reichen. Hier krieg ich ja nicht mal eine kleine Leinwand unter. Ich hab meinen ganzen Kram noch in Carolas Atelier. Aber malen kann ich da natürlich nicht mehr, jetzt, wo wir ... getrennte Wege gehen.«
Papa schafft es irgendwie immer, dass sich auch schlimme Sachen noch harmlos und nett anhören. Obwohl ich es natürlich ganz und gar nicht schlimm fand, dass er nicht mehr mit dieser Carola zusammen war. Im Gegenteil, ich fand das richtig prima. Aber Papa schien darüber ein bisschen traurig zu sein. Seine Augen wurden plötzlich ganz dunkel.
»Die hat sowieso nicht zu dir gepasst«, sagte ich. »Am besten verträgst du dich einfach wieder mit Mama und kommst zurück nach Hause. Dann schmeißt du Gesa aus dem Atelier und hast wieder ganz viel Platz zum Malen.«
Papa lächelte etwas traurig. »Kein schlechter Plan. Aber ich fürchte, so einfach ist das nicht ...«
Ich seufzte. Dass bei Erwachsenen immer alles so kompliziert sein musste! Was war denn so furchtbar schwer daran, sich nach einem Streit wieder zu vertragen?
Okay, das mit dem Entschuldigen war manchmal wirklich nicht so einfach. Das wusste ich aus eigener Erfahrung. Aber Erwachsene müssten
Weitere Kostenlose Bücher