Emma und der Rebell
wie in Fairhaven auch hier
getrennt vom Wohnhaus lag.
Aber Lucy
war ihr gefolgt und fuhr sie zornig an: »Was suchst du hier?«, und Emma kam
plötzlich der Gedanke, daß Lucy
versuchte, ihren Mann zu schützen, obwohl er sie so schlecht behandelte.
»Ich will
mit dem Hausmädchen reden«, antwortete Emma und ging unbeirrt weiter.
Doch Lucy
ergriff ihren Arm, und Emma war erstaunt, wieviel Kraft in dem kleinen zarten
Körper steckte. »Sie wird Angst haben, mit dir zu sprechen«, sagte Lucy so wütend,
daß Emma sich zu ihr umdrehte und sie verblüfft ansah.
»Warum
sollte sie?«
»Weil du
reich bist und weiß. Begreifst du nicht, Emma, daß du etwas sehr Unangenehmes
erfahren könntest, wenn du dich in Maisie Lees Angelegenheiten einmischt?«
Emma wurde
blaß, und ihr Herzschlag setzte vorübergehend aus. »Du glaubst, daß Steven
schuldig ist!« sagte sie entgeistert.
Lucy atmete
tief ein. »Er war in jener Nacht bei Mary. Es hatte eine schreckliche Szene auf
dem Ball gegeben und ...«
»Er hat
niemanden getötet«, fiel Emma ihr scharf ins Wort, riß sich von Lucy los und
marschierte auf die Küche zu.
Doch das
schwarze Dienstmädchen war, obwohl zwei Schüsseln mit Teig zum Aufgehen auf
dem Tisch standen, nirgendwo zu sehen.
Entschlossen
rief Emma ihren Namen.
»Sie wird
nicht kommen«, sagte Lucy leise von der Tür. »Sie hat zuviel Angst.«
»Ich gebe
Ihnen Geld, Maisie Lee«, fuhr Emma fort, ihre Schwägerin ignorierend, öffnete
ihr Retikül und nahm die großzügige Summe heraus, die Steven ihr am Abend zuvor
als Taschengeld gegeben hat. »Schauen Sie«, rief sie, schwenkte den Geldschein
und fügte, aus einer Eingebung heraus, hinzu: »Damit könnten Sie Ihren Kindern
viele schöne Dinge kaufen – Kleider, Schuhe, Obst, Süßigkeiten ...«
Die Tür,
die vermutlich in die Vorratskammer führte, öffnete sich krächzend, und Maisie
Lee kam heraus. Mit großen Augen betrachtete sie den Hundertdollarschein in
Emmas Hand.
»Sagen Sie
mir, ob Steven Fairfax in der Nacht von Marys Tod hier war«, forderte Emma sie
auf.
Maisie Lee
schluckte. Die Gier nach dem Geld war ihr deutlich anzusehen; sie zitterte
fast vor Anstrengung, nicht die Hand danach
auszustrecken. Nur einmal glitt ihr Blick ängstlich zu Lucy; dann schaute sie
wieder Emma an. »Ich habe es dem Anwalt schon gesagt – Mister Steven brachte
Miss Mary nach dem Ball nach Hause. Sie schrie und weinte bitterlich.«
»Und Mr.
Fairfax? Was hat er getan?«
»Er
versuchte, sie zu trösten und sagte andauernd: > Weinen Sie nicht, Miss Mary.
Bitte weinen Sie nicht. < «
Emma schloß
die Augen und glaubte die Szene so klar vor sich zu sehen, als hätte sie selbst
an jenem Abend am hohen Eisenzaun des McCallschen Hauses gestanden.
»Ist er
Mary hineingefolgt?« fragte Lucy plötzlich und verwirrte damit sowohl Emma als
auch Maisie Lee.
Wieder
schluckte das Dienstmädchen auffällig. »Nein, Madam. Ich habe ihn nicht
hineingehen sehen.«
»Haben Sie
jemand anderen gesehen?«
Maisie Lee
schüttelte den Kopf. Schweiß zeichnete sich unter ihrem engen Kleid ab, und sie
zupfte nervös an ihrem Kopftuch. »Niemanden sonst, Madam.« Emma gab Maisie Lee
das Geld, obwohl sie spürte, daß die Frau ihr etwas verschwieg – ganz
offensichtlich aus Angst.
»Danke,
Madam«, flüsterte Maisie Lee mit gesenktem Kopf.
Emma rührte
sich nicht, obwohl es heiß und stickig in der Küche war und sie dringend
frische Luft benötigte. »Lieben Sie Ihren Mann?« fragte sie.
Die
schwarze Frau schaute überrascht auf und drückte eine Hand an ihren Busen, wo
der Hundertdollarschein verschwunden war – als müßte sie das Geld vor ihrem
Mann verbergen. »Natürlich. Er ist mein Mann. Wir haben Kinder zusammen.«
»Ich liebe
meinen Steven auch«, sagte Emma sehr betont, »und wir hatten bisher noch keine
Kinder. Vielleicht wird er sogar für etwas gehängt, was er nicht getan hat,
bevor wir Gelegenheit bekommen, eine Familie zu gründen.«
»Ich weiß
nichts mehr!« heulte Maisie Lee, ganz offensichtlich am Ende ihres
Durchhaltevermögens angelangt.
Nach einem
langen forschenden Blick auf sie wandte sich Emma ab und folgte Lucy durch den
verwilderten Garten auf die Straße.
»Du hättest
ihr nicht all das Geld geben sollen«, sagte Lucy vorwurfsvoll. »Jethro wird sie
halb totschlagen, wenn er merkt, daß sie es vor ihm versteckt hat, und es dann
bis auf den letzten Cent vertrinken.«
»Sie weiß
etwas«, murmelte Emma, ohne auf Lucys Vorwürfe einzugehen.
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