Emma und der Rebell
»Etwas Wichtiges ...
Aber sie hat Angst, es zu sagen.«
Die Kutsche
wartete vor dem Tor, und Lucy überraschte Emma, indem sie hart ihren Arm
ergriff und sie entschieden auf das Gefährt zusteuerte. Die andere Hand drückte
sie stöhnend an ihre Schläfe. »Ich habe schreckliche Kopfschmerzen«, klagte
sie. »Ich wünschte, wir wären nie hierhergekommen. Wir wären zu Hause besser
aufgehoben gewesen – bei einem Pfefferminzlikör und unseren Handarbeiten!«
Emma
verdrehte die Augen. Aber sie mochte Lucy und empfand Mitleid mit ihr. Als sie
Fairhaven erreichten, begleitete sie die Schwägerin in deren Zimmer und holte
ihr ein Glas Wasser und ein Pulver gegen Kopfschmerzen.
Als sie
damit zu Lucy zurückkam, lag die zierliche Frau mit nichts als einem dünnen
Hemd bekleidet auf dem Bett. Sie trank dankbar das Wasser mit dem
Kopfschmerzmittel und rollte sich wieder stöhnend auf die Seite. > O Gott,
ich habe solche Kopfschmerzen!«
»Ruh dich
aus«, riet Emma sanft, schlüpfte aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
Als Emma
ihren eigenen kleinen Salon betrat, fiel ihr Blick auf einen Brief, der auf dem
Sekretär lag. Das Kuvert war aus feinstem weißem Bütten und in Chicago abgestempelt.
Kathleen. Der Brief war von Kathleen.
Mit
zitternden Fingern und einem stummen Gebet auf den Lippen riß Emma den Umschlag
auf und zog den Brief heraus.
Datum und
Anrede waren in einer sauberen, aber unbekannten Handschrift verfaßt. Als
Mrs. Harrington Anwalt und ihrem engsten Vertrauten halte ich es für meine
Pflicht, Sie von ihrem Dahinscheiden zu unterrichten ...
Kathleen
war tot.
Emma sank
auf einen Stuhl, weil sie befürchtete, ihre Beine trügen ihr Gewicht nicht
mehr. Der Raum schien sich für einen Moment um
sie zu drehen, und sie schloß die Augen und atmete ein paarmal tief durch.
Sie saß
noch immer auf diesem Stuhl, den Brief in der Hand, als es schon längst dunkel
war und die Tür sich öffnete und sie Stevens Stimme vernahm.
»Emma?« Er
legte ihr die Hände auf die Schultern, und sie drückte ihre Wange an seinen
Arm. »Was ist los?«
»Sie ist
tot«, flüsterte sie, als Steven sich einen Stuhl heranzog und sich zu ihr
setzte.
Sanft nahm
er ihr den Brief aus der Hand und las ihn. »Es tut mir leid«, sagte er, so
sanft, daß Emma fast die Tränen kamen.
»Der Anwalt
hat nichts von Lily und Caroline erwähnt, was bedeutet, daß Mama wohl nicht
wußte, wo sie sind.«
»Es
bedeutet, daß er sie nicht erwähnte«, berichtigte Steven sie ruhig und drehte
ihr Gesicht sanft zu sich herum.
»Ich habe
mich in meinem Brief ausdrücklich nach meinen Schwestern erkundigt«, sagte Emma
mit zitternden Lippen.
»Schreib
dem Anwalt noch einmal. Oder besser noch, schick ihm ein Telegramm.«
Emma
starrte in die Dunkelheit vor den Fenstern und dachte an die Kathleen, die sie
gekannt hatte. Obwohl ihre Mutter Alkoholprobleme
gehabt hatte, war sie in nüchternem Zustand ein fröhlicher, lebhafter Mensch
gewesen. »Ich frage mich, ob sie wohl ganz allein gestorben ist ...«
Steven zog
Emma auf seinen Schoß und hielt sie ganz fest in seinen Armen, und das war ein
so schönes, so tröstliches Gefühl, daß sie zu weinen begann; sie hatte diesen
Mann gefunden, nur um ihn wieder zu verlieren.
Im Glauben,
daß Emma um Kathleen weinte – und tief in ihrem Innersten tat sie es vielleicht
sogar –, wiegte Steven sie in seinen
Armen und wartete, bis der Sturm nachließ. Dann trug er sie ins Schlafzimmer,
zog sie bis auf die Unterwäsche aus und deckte sie zu wie ein kleines Kind. Sie
streckte bittend die Hand nach ihm aus. »Du gehst ...« Es war keine Frage, sondern
eine Feststellung.
Er
schüttelte den Kopf. »Ich werde unten sein, Emma. Mit Garrick.«
Sie
verdrängte den Schock über Kathleens Tod lange genug, um zu fragen: »Hast du
etwas Neues herausgefunden?«
Er beugte
sich über sie und küßte ihre Stirn. »Wir werden bald etwas erfahren«,
versicherte er ihr tröstend.
Emma hätte
ihm gern von ihrem Gespräch mit Maisie Lee erzählt und ihrem Verdacht, daß das
Dienstmädchen etwas zu wissen schien, was sie aus Angst nicht sagte, aber dazu
fehlte ihr jetzt die Kraft. So drückte sie nur Stevens Hand und sank schon kurz
darauf in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Als sie
am nächsten Tag erwachte,
war Steven schon wieder fort. Von einem Gefühl unbeschreiblicher Einsamkeit
erfaßt, stand Emma auf und zog sich an. Als sie im Eßzimmer feststellte, daß
sie keinen Bissen herunterbringen konnte, rief sie
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