Emma und der Rebell
von den Menschen entfernt, die sie
kannte und liebte, damit sie unter Fremden leben muß – von denen einer sich das
Vergnügen macht, ihr ständig damit zu drohen, sie zur Geliebten zu nehmen,
sobald ich nicht mehr da bin.«
Cyrus
betrachtete seinen Enkel kopfschüttelnd. »Du hast also aufgegeben«, sagte er
bitter. »Für so schwach hätte ich dich nie gehalten.«
Steven
wandte sich ab, um in den Garten hinauszuschauen, in dem er – so hatte er
gehofft – einmal seine Kinder spielen sehen würde. Und vielleicht sogar seine
Enkelkinder. »Garrick und ich haben alle befragt, die etwas wissen könnten, und
nicht das geringste dabei erfahren«, sagte er müde, ohne auf die Bemerkung
seines Großvaters einzugehen. »Mein Prozeß beginnt am Montagmorgen, und alles
was wir haben, ist meine Behauptung, unschuldig zu sein, und die Tatsache, daß
ich freiwillig zurückgekommen bin, um mich der Anklage zu stellen.«
Für einen
Moment drehte er sich zu Cyrus um. »Wenn ich am Galgen ende, wird mein letzter
Gedanke sein, daß Macon jeden Tag ihres Lebens Emma zur Hölle machen wird!«
Cyrus
setzte sich in den Ledersessel hinter seinem Schreibtisch. »Du kannst dich
darauf verlassen, daß ich Emma schützen werden, wenn alles schiefgeht. Das
weißt du.«
Steven trat
vor seinen Großvater, stützte beide Hände auf die Schreibtischplatte und
schaute Cyrus in die Augen. »Schwör mir bei allem, was dir heilig ist, daß du
Emma im gleichen Augenblick, wo ich verurteilt werde, von hier fortbringst!«
Der alte
Mann nahm eine Zigarre aus einem Kästchen und bot sie Steven an. Auf dessen
ablehnendes Kopfschütteln hin biß Cyrus das eine Ende der Zigarre ab, spuckte
es in den Papierkorb und strich ein Streichholz an. »Ich glaube nicht, daß du
sterben wirst, mein Junge«, sagte er nach langem Schweigen. »Dein Prozeß hat
noch gar nicht begonnen, und doch kletterst du schon die Stufen zum Galgen
hinauf.« Blauer Rauch hüllte ihn ein, als er an der Zigarre zog.
»Habe ich
dein Wort darauf?« beharrte Steven.
»Das weißt
du«, erwiderte Cyrus schlicht. »Macon wird sie nicht anrühren. Was hat sie
gesagt, als du behauptest hast, du wolltest nicht mehr ihr Mann sein?«
Steven fuhr
sich, beschämt bei der Erinnerung, durchs Haar. »Sie sagte, sie glaube mir
nicht – ich sei ein Lügner.«
Cyrus
lachte wehmütig. »Und dann hast du angefangen, deine Sachen zu packen! Du bist
ein Narr, Steven. Aber jetzt geh zu deiner tapferen kleinen Frau und versöhne
dich mit ihr, oder du wirst mich von einer ganz anderen Seite kennenlernen!«
Steven
wandte sich seufzend ab und ging hinaus.
Seine Seele
hungerte mit der gleichen Intensität nach Emma, wie sein Körper es tat, und er
wußte, daß er sich nicht länger daran hindern konnte, zu ihr zu gehen. Nicht
einmal die Angst, ein Kind zu zeugen, das ohne Vater aufwachsen würde, hielt
ihn jetzt noch zurück.
Er rannte
die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und schwor sich, Emma
um Verzeihung zu bitten und seine harten Worte zurückzunehmen, obwohl er immer
noch der Ansicht war, daß es besser für sie gewesen wäre, wenn sie ihn
verlassen hätte.
Er klopfte
an der Tür des Zimmers, das sie anfangs gemeinsam bewohnt hatten, und öffnete
sie, als keine Antwort kam. Aber das Zimmer war leer.
Rasch ging
er zum Schrank und riß ihn auf. Ihre neuen Kleider und der Schmuckkasten waren
noch da. Doch das mußte nicht bedeuten, daß sie nicht doch fort war, denn ihr
Stolz hätte ihr sicher nicht erlaubt, diese Dinge, die Geschenke von ihm und
Cyrus waren, mitzunehmen. Aber als er in ihrer Nachttischschublade das
gerahmte Foto ihrer Schwestern fand, war er beruhigt und wußte, daß Emma ihn
nicht verlassen hatte, denn um nichts in der Welt hätte sie dieses Foto
zurückgelassen.
Er stellte
es deutlich sichtbar auf die Nachttischplatte und verließ das Zimmer. Seine
anfängliche Erleichterung schlug wieder in Sorge um. Er mußte Emma finden, sich
überzeugen, daß es ihr gutging, und sich bei ihr entschuldigen.
Aber er war
so oft mit Garrick außer Haus gewesen, um an seiner Verteidigung zu arbeiten,
daß er keine Ahnung hatte, wie Emma ihre Tage verbrachte. Deshalb ging er zu
Lucy.
Ein
munteres »Herein!« war die Antwort auf sein Klopfen. »Hast du Emma gesehen?«
fragte er seine Schwägerin, die am Fenster saß und eine Babypuppe in ihren
Armen wiegte.
Lucy
schaute ihn nicht an. Sie lächelte auf die Puppe herab und streichelte deren
goldblondes Haar. Ihre Stimme, als
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