Emma und der Rebell
du
weggerannt!« Diese letzten Worte kamen als erstickter Schrei von seinen
Lippen; ein Schrei, der Nathaniels ganze Qual verriet und das Gefühl, von
Steven betrogen und im Stich gelassen worden zu sein.
Steven
packte seinen Arm und zog ihn auf die Beine, dann bückte er sich, um die
Laterne aufzuheben. »Es tut mir leid, Nate«, sagte er, während er seinen Cousin
auf dessen Pferd zuschob.
Nathaniel
weinte, aber Steven spürte, daß er sich für jede Träne haßte. »Es war
schrecklich – wie Macon mich angesehen hat – und wie er dann stürzte ...«
Steven
legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »Er wird sich davon erholen,
Nathaniel.«
»Ich habe
es nur getan, weil er Emma ...«
»Das weiß
ich«, unterbrach Steven ihn tröstend, als der junge Mann sein Pferd bestieg und
sich mit dem Ärmel über die Augen fuhr. »Und ich bin dir dankbar, daß du sie
beschützt hast.«
Nathaniel
schluckte, aber er sagte nichts mehr, und Steven schwor sich, mehr Zeit mit dem
Jungen zu verbringen – falls das Schicksal ihm die Möglichkeit dazu bot und er
nicht zum Tode verurteilt wurde.
Nachdem sie
die Ställe erreicht hatten und die Pferde versorgt waren, fragte Nathaniel mit
erstickter Stimme: »Muß ich jetzt ins Gefängnis?«
Steven schüttelte
den Kopf. »Ich glaube nicht, daß Macon Anzeige erstattet, so, wie die Umstände
liegen. Es ist zwar bekannt, daß er ein Frauenheld ist, aber es wäre ihm
bestimmt nicht angenehm, vor der ganzen Stadt zugeben zu müssen, daß er seine
eigene Schwägerin vergewaltigen wollte.«
Nathaniel
nickte, und gemeinsam gingen sie zum Haus zurück. Emma stand auf dem Korridor
an der Tür von Cyrus' Arbeitszimmer und preßte ihr Ohr gegen das Holz. Am
liebsten hätte sie laut gegen die Tür gehämmert, bis ihr jemand aufmachte –
denn schließlich wurde hier nicht nur Stevens Schicksal entschieden, sondern
auch ihr eigenes.
Cyrus saß
am Schreibtisch, während Steven vor dem Kamin stand, einen Arm auf den Sims
gestützt und den Rücken zur Tür gewandt. »Garrick hat mir geraten, den
Urteilsspruch nicht abzuwarten, sondern mich davonzumachen, so schnell ich
kann«, hörte sie Steven zu seinem Großvater sagen, doch dann vernahm sie ein
Geräusch am anderen Ende des Korridors und eilte rasch die Treppe in den ersten
Stock hinauf, wo sie und Steven nach dem Zwischenfall mit Macon ein Gästezimmer
bezogen hatten.
Emmas
Gedanken überschlugen sich, als sie die Treppe hinaufhastete. Sie wußte zwar,
daß der Prozeß sich nicht gut entwickelte, aber sie hatte nicht gedacht, daß
Stevens Lage so hoffnungslos geworden war, daß sogar Stevens Anwalt ihm zur
Flucht riet.
Panik
erfaßte Emma. Garrick hatte recht. Obwohl es sicher nicht leicht sein würde,
ständig auf der Flucht zu sein, war ein solches Leben immer noch besser, als am
Galgen zu sterben.
Verzweifelt
marschierte sie im Zimmer auf und ab und versuchte, Ordnung in ihre Gedanken
zu bringen. Es war ein schrecklicher Tag gewesen – vom Moment ihres Ohnmachtsanfalls
während der Verhandlung bis zu dem Moment, als Macon vor ihren Augen von
Nathaniel niedergeschossen worden war. Emma schloß gequält die Augen.
Wenn
Nathaniel nicht gewesen wäre, hätte sie möglicherweise selbst einen Schuß auf
Macon abgegeben, und Stevens 45er Colt hätte bestimmt mehr Schaden angerichtet
als Nathaniels kleiner Derringer.
Der
Gedanke, was sonst noch alles hätte passieren können, ließ sie schaudern.
Stevens
Stimme erschreckte sie so sehr, daß sie zusammenzuckte. »Geh ins Bett«, sagte
er. »Du zitterst ja wie Espenlaub!« »H-hast du Nathaniel gefunden?« fragte
Emma, während sie gehorsam
zwischen die Decken kroch, die noch zerwühlt waren von ihrem leidenschaftlichen
Liebesspiel.
Ihr Mann
nickte. »Er war im Sumpf und ließ sich von den Moskitos beißen.« Er löste seine
Krawatte, warf sie beiseite und legte auch seinen Rock ab.
»Wie geht
es ihm?«
»Er steht
noch unter Schock, wie wir alle. Hast du nach Lucy gesehen?«
»Ja«,
antwortete Emma und drehte sich auf die Seite. Während sie ihren Mann beim
Ausziehen beobachtete, betete sie stumm darum, daß sie dies auch weiterhin tun
könnte – bis sie hundert Jahre alt war. »Ich mache mir große Sorgen um sie,
Steven. Sie ist in einem viel schlechteren Zustand als Macon.«
Steven
glitt neben ihr unter die Decken, streckte sich aus und schob eine Hand unter
Emmas Kopf. »Ich weiß«, stimmte er ihr leise zu. Emma strich mit den
Fingerspitzen über das lockige Haar auf Stevens
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