Emma und der Rebell
»Wenn ich dir etwas
bedeuten würde, Chloe, dann würdest du mir verbieten, mit diesem Mann auch nur
eine Minute allein zu sein, geschweige denn den ganzen Tag!«
Chloe
lachte. »Und du würdest mir gehorchen?«
Emma warf
ihr einen beschämten Blick zu. »Nein«, gab sie ehrlich zu. »Wahrscheinlich
nicht.«
Chloe
setzte sich zu Emma. Ihre grünen Augen funkelten vor Belustigung. »Es hat mich
an Big John erinnert, wie Steven dich geküßt hat. Da hast du einen richtigen
Mann gefunden, Emma!«
Emma
seufzte verlegen. Aber wenigstens hatte ihre Adoptivmutter ihr einen Anlaß
gegeben, das Thema zu wechseln. »Warum heiratest du John nicht? Ich weiß doch,
daß du ihn liebst.«
Chloes
weiter Taftrock raschelte, als sie ihre wohlgeformten Beine übereinanderschlug.
»Mr. Lenahan ist ein stolzer Mensch«, antwortete sie traurig. »Ich lasse nicht
zu, daß die Leute ihn verspotten, weil er eine Hure zur Frau genommen hat.«
Emma
schaute verwundert auf. »Aber du bist doch nicht ... ich meine, du ...«
»Für die
Leute macht das keinen Unterschied, Emma. Sie denken in jedem Fall das gleiche
über mich.«
Emma senkte
betrübt den Kopf. »Hat Big John dir schon einen Antrag gemacht?« fragte sie.
Chloe
lächelte. »O ja – ein- oder zweimal.«
»Dann
solltest du ihn heiraten, finde ich!« erklärte Emma entschieden. »Laß die
anderen doch denken, was sie wollen.«
»Und ich
finde, du solltest dich von Fulton Whitney fernhalten, Emma! Es ist nicht
fair, einen Mann dazu zu benutzen, einen anderen von dir fernzuhalten.«
Emma biß
sich auf die Lippen. »Wer sagt, daß ich ihn benutze?«
Chloe
lachte hell. »Ich.« Sie war eine lebhafte, temperamentvolle Frau und trotz
ihres fortgeschrittenen Alters noch immer sehr schön. Und intelligent. Es war
kein Wunder, daß ein so feiner Mensch wie Big John Lenahan sie zur Frau haben
wollte. »Wahrscheinlich befürchtest du, eine alte Jungfer zu werden, wenn du
diesen Whitney nicht heiratest – und für immer und ewig in deiner Bibliothek zu
sitzen und mit einem Stapel Plakate unter dem Arm auf jeden Zug zu warten, bis
du alt und grau bist.«
Emma ließ
die Nadel sinken. »Das klingt ja, als würdest du nicht glauben, daß ich meine
Schwestern je wiederfinde.«
Chloes Züge
wurden sanfter. »So habe ich es nicht gemeint«, widersprach sie rasch. »Du
wirst sie finden, wenn es so etwas wie Gerechtigkeit auf dieser Welt gibt.«
Emma war
erleichtert, daß Chloe so dachte, und lächelte sie an. »Warum mißfällt dir
Fulton so?« fragte sie dann. »Ich habe fast den Eindruck, als wärst du froh,
daß dieser Rebell mich zum Picknick eingeladen hat – ein Mann, vor dem du mich
selbst einmal gewarnt hast.«
»Meine
Gründe, Fulton nicht zu mögen, sind meine Sache«, erwiderte Chloe knapp. »Du
könntest selbst erkennen, was nicht mit ihm stimmt, wenn du die Augen öffnen
würdest. Und was Mr. Fairfax betrifft, so habe ich meine Meinung geändert, weil
Big John mir versicherte, daß er ein anständiger, solider Mensch ist. Im Grunde
genommen bin ich sogar überzeugt, daß er eine Seite von dir ans Licht bringen
wird, die keiner von uns bisher an dir kannte.«
Emma dachte
an ihre heftige Reaktion auf Stevens Küsse und s Mutter hatte auch eine
leidenschaftliche Seite«, sagte sie bedrückt, »die sie ruinierte und
schließlich sogar dazu brachte, ihre eigenen Kinder aufzugeben.«
»Deine
Mutter war ein schwacher Mensch«, wandte Chloe ein.
Emma dachte
daran, wie leicht Steven sie dazu bewegen konnte, sich ihm zu unterwerfen.
»Vielleicht bin ich das auch.«
»Nur in
bezug auf einen Mann, glaube ich«, war Chloes Antwort, dann stand sie
auf und gähnte verstohlen. »Ich gehe ins Bett. Es war ein langer Tag.«
»Gute
Nacht«, sagte Emma zärtlich.
Chloe küßte
ihre Wange. »Gute Nacht, Emma, Liebes. Bleib nicht die halbe Nacht auf, um dir
Vorwürfe zu machen, weil du beim Anblick eines gutaussehenden Cowboys weiche
Knie bekommst. Es bedeutet nur, daß du eine ganz normale, gesunde junge Frau
bist.«
Big John
beobachtete Steven,
wie er die Rinder zusammentrieb, und wunderte sich wie schon so oft über die
Geschicklichkeit dieses jungen Rebellen. Als Steven sein Pferd wendete, um
davonzureiten, rief Big John ihn zu sich.
»Die Armee
hat zweihundert Rinder bestellt«, sagte der Rancher, als Steven seinen Wallach
zügelte und absaß. »Hätten Sie Lust, den Treck zu führen?«
Fairfax
schien interessiert, aber auch ein bißchen mißtrauisch. »Wohin?«
»Nach
Spokane, im
Weitere Kostenlose Bücher