Emma und der Rebell
für
eine Weile aus ihren Gedanken zu verbannen. Während sie mit geschlossenen
Augen im duftenden Wasser lag, dachte sie an die Zeit in Chicago zurück, an
ihre Schwestern Caroline und Lily – und Kathleen, ihre Mutter.
Sie
erinnerte sich so deutlich an Kathleen, als ob sie vor ihr stünde, glaubte
wieder ihr langes dunkles Haar zu sehen und ihre lachenden braunen Augen. Oh,
Kathleen war eine schöne Frau gewesen, wenn sie nicht trank, und nie hatte es
ihr an Männern gefehlt, die ihr Flitterkram kauften und Rum und alles, was ihr
Herz begehrte.
Emma und
ihre Schwestern hatten sich bemüht, nicht im Weg zu sein, wenn ein Mann bei
Kathleen war, aber das war nicht leicht gewesen bei einer so kleinen Wohnung.
Nur ein Vorhang hatte Kathleens Bett vom Lager der drei Mädchen getrennt, die
praktisch jede Nacht die sich bewegenden Schatten hinter dem dünnen Stoff
gesehen und das Stöhnen ihrer Mutter und ihrer Liebhaber vernommen hatten.
Im
allgemeinen verließen die Männer Kathleen, bevor es hell wurde. Einige von
ihnen waren so nett, das Kohlenfeuer zu schüren, und wenn sie fort waren, lag
immer Geld auf dem Tisch. Dann kaufte Kathleen frisches Obst und manchmal sogar
ein Stückchen Fleisch, aus dem Caroline mit Kohl eine köstliche Mahlzeit
zubereitete. Bei einigen sehr seltenen Gele genheiten gingen sie sogar alle
zusammen ins Theater oder in den Zirkus.
Aber dann
verfiel Kathleen wieder der düsteren Verzweiflung, die sie stets bedrohte und
dazu trieb, ihr letztes Geld für Brandy auszugeben und sich zu betrinken, bis
sie sich nicht mehr vom Bett erheben konnte. In solchen Zeiten mußte Caroline
ihre Mutter pflegen wie ein kleines Kind.
Nach dem
Erscheinen des Soldaten sah es eine Zeitlang ganz so aus, als ob sich alles
ändern würde. Kathleen sagte, sie sei verliebt und würde Matthew Harrington
heiraten. Ihr aller Leben würde sich nun verändern.
Nun, dachte
Emma seufzend, da hat sie recht gehabt. Die Ankunft von Matthew Harrington in
seiner schönen blauen Uniform hatte tatsächlich große Veränderungen mit sich
gebracht.
Plötzlich
wollte Kathleen nichts anderes mehr tun, als sich zu betrinken und mit Matthew
hinter dem Vorhang im Bett zu liegen. Mit der Zeit gewöhnte Caroline sich an,
ihm heimlich Geld aus der Tasche zu nehmen, damit sie wenigstens etwas zu essen
hatten.
»Er will
mich anfassen«, hatte Emma ihrer älteren Schwester Caroline eines Tages
anvertraut.
»Matthew?« hatte Caroline mit
einem sorgenvollen Blick erwidert Sie war erst acht Jahre alt, aber seit
Grandma nicht mehr lebte, lastete die ganze Sorge und Verantwortung einer
erwachsenen Frau auf ihr. »Was sagt er denn zu dir?«
»Er will,
daß ich mich auf seinen Schoß setze, wenn Mama nicht da ist.«
Caroline
wurde ärgerlich. »Halt dich von ihm fern!« warnte sie.
Aber sie
hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen, denn am nächsten Tag, als in den
Geschäften der erste Weihnachtsschmuck in den Auslagen erschien, teilte
Kathleen den Mädchen ihre Entscheidung mit. Matthew wollte sie mit einem
sogenannten > Waisenkinderzug < nach Westen schicken, weil er der Ansicht
war, Kinder seien auf dem Land besser aufgehoben als in der Stadt. Und Kathleen
hatte die Idee begeistert aufgegriffen.
Emma schloß
die Augen vor der Erinnerung an die kleine Lily – damals erst sechs –, die ihre
Mutter weinend angefleht hatte, sie nicht fortzuschicken, und ihr unter Tränen
versprochen hatte, immer brav zu sein und Matthews Stiefel zu putzen, wenn
Kathleen sie nur bleiben ließ.
Tränen
brannten unter Emmas Lidern. Wo mochte Lily heute sein? Ob sie glücklich war?
Suchte auch sie ihre Schwestern, so wie Emma es seit Jahren tat? Ob sie auch
heute noch solch wunderschönes, silberblondes Haar besaß? Und die wichtigste
Frage: Lebte sie überhaupt noch?
Emma
trocknete mit dem Handrücken ihre Tränen und lenkte ihre Gedanken auf ihre
ältere Schwester Caroline. Sie war ganz sicher, daß Caroline noch lebte, denn
sie war immer die stärkste, resoluteste von ihnen dreien gewesen. Auch sie
suchte ihre Schwestern; Emma wußte es ganz instinktiv.
Eines
Tages, dachte sie, werde ich meine Schwestern wiedersehen und eine Antwort auf
all diese Fragen finden.
Marshal
Woodridge wurde
alt, das wußte er selbst, und er gab bereitwillig zu, daß es ihn immer mehr
Anstrengung kostete, seinen Pflichten nachzugehen. Nur gut, dachte er, daß es
an diesem Abend keinen Ärger bei dem Ball gegeben hat. Es kam nicht selten vor,
daß Streitigkeiten zwischen
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