Emma will’s wissen
Bauch nicht aufschneiden. Und hoffentlich brauchte das Baby nicht vierundzwanzig Stunden, um auf die Welt zu kommen.
Ich umarmte Mama ganz fest und drückte mein Gesicht gegen ihren Bauch. »Mach uns bloß keinen Ärger, hörst du?«, flüsterte ich dem Baby zu. In Mamas Bauch bewegte sich etwas. Ich konnte nur hoffen, dass das Baby mich verstanden hatte.
Papa nahm die Reisetasche und legte Mama den Arm um die Schultern. Wir begleiteten sie zur Tür. Als Mama ins Auto stieg, kam die nächste Wehe. Sie krallte sich an der Autotür fest, bis die Wehe vorbei war. Dann ließ sie sich schwerfällig auf dem Vordersitz nieder. Babsi stieg in ihren eigenen Wagen. Wir sahen den beiden Autos nach, bis die Rücklichter in der Dunkelheit verschwunden waren. Dann gingen wir zurück ins Haus.
»Wie wär’s mit einem heißen Kakao?«, fragte Oma. Tim und ich standen in der Küche herum und wussten nicht so richtig, was wir jetzt machen sollten. Gesa hatte sich wieder hingelegt. Es war ein komisches Gefühl, mitten in der Nacht wach zu sein. Ich war todmüde und gleichzeitig hellwach. Schlafen konnte ich jetzt garantiert nicht, dafür war ich viel zu aufgeregt.
»Okay«, sagte ich. Tim nickte ebenfalls.
Wir setzten uns an den Küchentisch und Oma nahm die Milch aus dem Kühlschrank. Ich musste an Herrn Marten denken und daran, wie er mir immer Kakao gekocht hatte. Er lebte seit ein paar Wochen bei seiner Tochter. Ich hatte ihn noch einmal gesehen, als seine Tochter und ihr Mann hergekommen waren, um das Haus auszuräumen. Aber er hatte mich nicht erkannt. Ich versuchte, es ihm nicht übel zu nehmen. Ich wusste ja, dass er nichts dafürkonnte. Sein Gehirn war so löchrig geworden wie eine alte Socke. Die Erinnerungen rieselten einfach hindurch.
Das Haus sollte verkauft werden. Bisher hatte sich aber noch niemand gefunden, der es haben wollte. Jetzt würde Herr Marten doch nicht in seinem Haus sterben. Das fand ich schade. Aber er musste nicht ins Heim, das war immerhin etwas. Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, sagt Oma immer.
Nachts kommen einem die seltsamsten Gedanken.
»Ist das Baby denn überhaupt schon fertig?«, fragte Tim. »Es sollte doch eigentlich erst in drei Wochen geboren werden.«
»Keine Sorge, an dem Baby ist bestimmt alles dran«, sagte Oma. »Sonst hätte es sich nicht entschieden, jetzt schon auf die Welt zu kommen.« Sie schüttete die Milch in einen Topf und stellte ihn auf den Herd.
»Vielleicht ist es dem Baby in Mamas Bauch einfach zu eng geworden.« Ich zog das Nachthemd über meine Knie. Meine Füße waren eiskalt. Ich hatte vergessen, Hausschuhe anzuziehen. Hoffentlich wurde mein Gehirn nicht auch allmählich etwas löchrig.
»Sollten wir nicht Mona und Klaus wecken?«, fragte ich. »Sie wissen ja noch gar nicht, was los ist.«
Oma schüttelte den Kopf. »Wir lassen sie lieber schlafen. Sie erfahren es noch früh genug. Und im Moment können wir sowieso nichts tun. Außer abwarten und Tee trinken.«
»Du meinst wohl ›abwarten und Kakao trinken‹!« Ich musste kichern, obwohl es kein besonders guter Witz gewesen war. Ich glaube, ich war ziemlich durcheinander. Durcheinander und aufgeregt. Ich hätte so gern jemandem erzählt, dass das Baby unterwegs war. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich Bastian anrufen sollte. Aber seine Mutter wäre bestimmt stinksauer, wenn mitten in der Nacht das Telefon klingelte. Dabei hätte ich jetzt so gern Bastians Stimme gehört. Ich spielte mit dem Armband herum, das er mir zu Weihnachten geschenkt hatte. Es bestand aus vielen bunten Perlen. »So was tragen die Frauen in Peru«, hatte Bastian mir erklärt, als wir uns am zweiten Weihnachtstag nach langer, langer Zeit zum ersten Mal wieder getroffen hatten. Das Armband war mein allerschönstes Weihnachtsgeschenk. Ich hatte es seitdem kein einziges Mal abgenommen. Nicht mal beim Duschen.
»Müssen wir morgen eigentlich zur Schule?«, fragte Tim.
»Nein«, sagte Oma. »Ihr dürft zu Hause bleiben, wenn ihr wollt.«
»Klasse!« Tim grinste zufrieden. Ich freute mich auch. Am nächsten Tag hatten wir eine Doppelstunde Mathe, darauf konnte ich gut verzichten. Auch wenn ich Frau Meisner gern von dem Baby erzählt hätte. Aber das konnte ich übermorgen immer noch machen.
Oma goss dampfenden Kakao in zwei Becher und stellte sie auf den Küchentisch. Ich umfasste meinen Becher mit beiden Händen und nippte vorsichtig daran, um mir nicht die Zunge zu verbrennen. Der Kakao war noch
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