Emmas Story
kleben wie ich es von manchen Bekannten kenne, die ihre Eltern jedes Wochenende zum Grillen sehen.
Nach zwei Freizeichen hebt meine Mutter ab.
»Rusche?«
»Hallo, Mutti! Ich wollt nur mal hören, wie es bei euch so läuft. Wie geht’s?«
»Ach, das ist ja schön, dass du anrufst. Wir haben heute Morgen noch von dir gesprochen, und ich hab gesagt, ich muss mich unbedingt mal wieder melden. Prima geht’s uns. Dein Vater ackert noch im Garten rum. Das Wetter ist ja herrlich. Bei euch auch?«
»Ja, wunderbar.«
So geht es eine Weile, und ich wechsle den Sitzplatz, schlendere vom Schreibtischstuhl hinüber zum bequemen Sofa, lege die Beine hoch und genieße den kleinen Plausch. Manchmal ist es richtig schön, die Eltern zu hören und zu erfahren, womit sie so ihre Tage verbringen.
»Was macht deine Arbeit? Kommst du voran?«, fragt meine Mutter schließlich, wie jedes Mal, wenn wir telefonieren.
Meine Mutter ist eine kluge, gebildete Frau, die nichts fantastischer findet, als eine Tochter, die bald den Doktorgrad erlangen wird.
»Leider lange nicht so, wie ich es mir wünschen würde«, stöhne ich verhalten.
»Woran liegt das?« Sie klingt besorgt.
»Ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe eine Sinnkrise. Frage mich plötzlich, wieso ich ausgerechnet dieses Thema ausgesucht habe, wieso ich überhaupt diese ganze Arbeit auf mich lade, nur um hinterher ein Dr. vor meinem Namen tragen zu können.«
Meine Mutter ergeht sich eine Weile darin, dass keine Schriftstellerin so maßlos verkannt und unterschätzt wurde wie Madelein Chapel, dass Egon Goldmann ihrer Meinung nach der größte Lyriker neben Goethe und Schiller war und dass meine Arbeit ein Meilenstein in der Literaturwissenschaft sein wird, nach der sich alle die Finger lecken werden. So spannend und unterhaltsam und kulturell wichtig findet sie diesen verfluchten Briefwechsel, dass ich am Ende sogar bereit bin, selbst wieder daran zu glauben.
Ich liebe diese Telefonate mit meiner Mutter.
Bei Liebeskummer ist sie eine echte Katastrophe, die mit ihrem gut gemeinten, aber leider grässlich deplazierten Beistand alles nur noch schlimmer für mich macht. Aber bei Sinnkrisen in der Arbeit ist sie Spitze.
Leider interessiert sie sich aber auch für besagte andere Seite meines Lebens. Und nachdem sie sich ausführlich zu meiner Doktorarbeit geäußert und mir neuen Mut zugesprochen hat, kommt es, wie es kommen musste:
»Schätzchen, ich mach mir trotzdem Gedanken, woher diese Antriebslosigkeit kommt. Kann es sein, dass du Ramona noch vermisst?«, forscht sie nach.
»Ach, Mutti«, sage ich. »Das ganz sicher nicht.«
»Na, manchmal weiß man es selbst nicht so genau, wo der Hase im Pfeffer liegt, und am Ende hängt wieder alles an der Liebe. Kann doch sein, dass du nicht gern allein bist. Dein Vater und ich kriegen uns ja auch hin und wieder mal in die Wolle, wenn er wieder seine kritische Phase hat. Aber trotzdem möchte ich ihn nicht missen. Wenn ich mir das vorstelle … also, da würde ich bestimmt auch keine Dissertation hinbekommen.«
Irgendwie fällt mir nichts ein, was ich darauf antworten könnte. Natürlich ist das Unsinn. Ich kann gut allein sein. Und es stört mich bestimmt nicht, dass nicht jemand maulend oder störrisch schweigend im Garten herumpuzzelt. Aber trotzdem berühren ihre Worte mich seltsam.
»Oder gibt es jemand Neues?«, hakt sie jetzt nach.
Einen kurzen Augenblick sehe ich Fraukes Gesicht vor mir. Doch ich schiebe dieses Bild mit aller Kraft zur Seite. Meine Mutter weiß nichts von den Verwicklungen und den Umständen, unter denen Ramona und ich auseinander gegangen sind. Das soll sich auch nicht ändern.
»Nein, niemand in Sicht.«
Meine Mutter atmet einmal tief ein und wieder aus.
»Tja, so was braucht alles seine Zeit.«
Ich weiß nicht, ob sie damit meint, dass es Zeit braucht, um eine Trennung zu verwinden oder dass es dauert, um wieder eine zu finden, in die ich mich verlieben könnte. Ich weiß nur, dass sie sich offensichtlich mehr Gedanken um mein Privatleben macht, als mir lieb ist.
»Rate mal, wen ich neulich getroffen habe«, sage ich daher rasch, bevor ihr noch etwas anderes Persönliches zu fragen einfällt. »Die Lu Streubel.«
»Ach was!« Meine Mutter lacht erfreut, und im gleichen Augenblick bereue ich, das erwähnt zu haben. Meine Eltern mochten Lu beide sehr. Sie sahen es gern, wenn ich etwas mit ihr unternahm und luden Lu sogar zu Familienfeiern ein, auf denen sonstige Klassenkameradinnen nichts zu
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