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Emmas Story

Emmas Story

Titel: Emmas Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Muentefering
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suchen gehabt hätten. Vielleicht machten sie bei Lu eine Ausnahme, weil sie so ein gewinnendes Wesen hatte, so fröhlich war und nie schlecht gelaunt, wie meine Eltern es etwa von ihrer eigenen Tochter zur Genüge kannten. Vielleicht war es auch die Traumvorstellung davon, dass zwei Mädchen ohne weitere Geschwister, die Tür an Tür aufwachsen, doch einfach beste Freundinnen werden müssen.
    »Und was macht Lu?«, will meine Mutter gespannt wissen. »Sie ist doch bestimmt Schauspielerin geworden, oder?«
    »Du wirst lachen«, sage ich und schmunzele selbst ein bisschen. Denn schließlich hatte auch ich automatisch angenommen, dass sie ihren großen Traum verwirklichen würde. »Sie ist Floristin.«
    »Was?«, macht meine Mutter, die sonst immer sehr auf ihr Benehmen achtet, auch mir gegenüber. »Das ist nicht dein Ernst!«
    »Na ja, vielleicht sollte man es eher Gärtnerin nennen? Oder Landschaftsgestalterin? Oder Keramikerin? Sie macht irgendwie alles. Hier in der Stadt gibt es einen Laden, der alles anbietet, und dort arbeitet sie.«
    »Und ist sie verheiratet?«
    Meine Mutter hat keine Probleme damit, dass ihre einzige Tochter lesbisch ist. Ich glaube, sie war noch nie scharf darauf, mit Schwiegersohn und Enkelkindern unterm Weihnachtsbaum zu sitzen. Meine jeweiligen Freundinnen sind immer sehr nett aufgenommen worden.
    »Nicht direkt.« Ich zögere. Doch dann sage ich: »Eigentlich doch. Aber nicht mit einem Mann. Sie lebt in einer Homo-Ehe.«
    »Nein!« Ich weiß, meine Mutter wird meinem Vater später viel zu erzählen haben. »Das ist ja ein Ding!«
    »Nicht wahr?«
    »Wusstest du das vorher? Ich meine, ihr ward doch unzertrennlich früher. Hattest du da eine Ahnung?«
    »Nicht die Spur.«
    »Das ist ja ein Zufall. Du, vielleicht stimmt das doch, diese Theorie mit den Erdstrahlen, die so was verursachen. Schließlich habt ihr beide in der Pubertät im gleichen Haus gewohnt«, kichert sie.
    »Ehm«, mache ich. Irgendwie entgleitet mir das Gespräch gerade.
    Die Stimme meiner Mutter ist mit Lächeln der Erinnerung durchtränkt, als sie fortfährt: »Meine Güte, weißt du noch, wie du mal zu mir gekommen bist … wie alt warst du da? Vierzehn, fünfzehn? Du hast mich gefragt, ob ich lieber Lu als Tochter haben möchte als dich.«
    Mein Herz bleibt fast stehen.
    »Quatsch!«, sage ich. »Das habe ich nie gesagt!«
    »Natürlich!«, erwidert meine Mutter mit der ihr eigenen Selbstverständlichkeit. Sie schmunzelt durchs Telefon. Ich kann es hören. Wahrscheinlich findet sie die Erinnerung niedlich. Wahrscheinlich fühlt sie sich geschmeichelt bei dem Gedanken, dass ich damals Angst hatte, sie könne mich eintauschen wollen gegen eine, die so ganz anders war als ich selbst. »Das weiß ich noch wie gestern. Du warst ganz geknickt. Hast mir hundert Gründe aufgezählt, aus denen Lu die bessere Tochter für mich wäre. Aber Gott sei Dank konnte ich dich schließlich davon überzeugen, dass ich doch lieber bei dir bleiben wollte. Du warst so süß kläglich.« Wieder lacht sie kurz auf.
    Meine Güte, mir war gar nicht klar, dass meine Mutter schon so alt ist. So alt, dass sie jetzt – mit der Distanz der Jahre – beginnt, Ereignisse zu verdrehen und sich an Dinge zu erinnern, die so unmöglich stattgefunden haben können.
    Natürlich habe ich nie Angst gehabt, dass meine Eltern mich gegen Lu eintauschen könnten. Dass das nicht gehen würde, hatte ich bestimmt schon mit fünf ganz genau gewusst, mit vierzehn aber doch erst recht. Was für ein bodenloser Unsinn also.
    Plötzlich habe ich alle Lust an dem Telefonat verloren.
    Es trifft sich gut, dass in diesem Moment mein Vater mit Dreckschuhen aus dem Garten über die Terrasse ins Wohnzimmer stolpert und meine Mutter aus der Welt der Erinnerungen herausgerissen wird, um sogleich kräftig über dieses männliche Ferkel zu schimpfen, mit dem sie nun seit mehr als 37 Jahren verheiratet ist.
    Was meine Mutter nämlich genauso beunruhigt wie eine Arbeits-Krise ihrer Tochter beim Erstellen ihrer Dissertation, ist Schmutz auf den Fliesen des Wohnzimmers. Daher beenden wir das Gespräch, und ich lege auf.
    Ich stelle das Telefon auf seine Station in der Diele, stolpere ins Bad und beginne Wäsche aus dem Korb auf kleine Häufchen zu sortieren. Weiß. Schwarz. Hand- und Badetücher mit Geschirr-Trockentüchern. Bunt. Aber ohne das knallrote T-Shirt, das braucht Handwäsche, weil es immer noch ausfärbt.
    Ich werfe eine Waschmaschine an, stelle fest, dass die Badarmaturen

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