Emmas Story
auch mal wieder eine Politur nötig hätten, schnappe mir Schwamm und Tuch und lege los.
Unglaublich.
Ich soll kläglich gewesen sein?
Weil ich fürchtete, Lu könne mich bei meinen Eltern ausstechen? Wieso denn um Himmels willen? Ich war doch die Schöne (auch wenn Lu mit ihrer dunklen Haut und den weißen Zähnen durchaus hübsch zu nennen war), die Kluge, die intellektuell Überlegene. Welchen Vorteil sollte Lu wohl vor mir gehabt haben damals?
Das Telefon klingelt.
Ich will niemanden sprechen.
Es klingelt noch einmal, und ich lasse den Schwamm und das Tuch im Bad liegen, gehe in den Flur.
Es läutet noch ein drittes und ein viertel Mal. Dann springt der AB an.
»Hallihallo, leider erreichen Sie mich nicht persönlich. Bitte hinterlassen Sie doch Ihre Telefonnummer, und ich rufe zurück!«
Piep.
»Hallo, Frau Rusche. Beckmann hier. Erinnern Sie sich? Sie haben sich vor einer Weile mal eine Wohnung angesehen. Auf der Höhenstraße, Altbau mit Garten, in dem auch Hunde erlaubt sind. Meine Mieter kennen jetzt ihren Auszugstermin. Und ich würde mich freuen, wenn Sie hier einziehen würden. Irgendwie, fand ich, würden Sie gut hierher passen. Bitte rufen Sie doch zurück!«
Es wird aufgelegt. Der AB piepst noch einmal. Dann ist wieder alles still.
Ich starre auf die blinkende Eins in Digitalziffern.
Und ich bin froh, dass niemand hier ist, der mich beobachten kann. Denn ich stehe wirklich eine ganze Weile einfach so da und blicke auf die Zahl, die mir entgegenleuchtet.
So still und fast wie gelähmt stehe ich, dass ich furchtbar zusammenfahre, als es plötzlich an der Tür klingelt.
Der Blick zur Uhr sagt: Kurz nach neun.
Das ist eine Uhrzeit, zu der ich normalerweise keinen Spontanbesuch mehr bekomme.
Wahrscheinlich eine dieser unverschämten Umfragegeschichten, bei denen irgendjemand wissen will, wieso ich dieses Waschmittel jenem vorziehe.
»Ja, bitte?«, knurre ich in die Gegensprechanlage.
»Hallo, Emma. Frauke hier. Ist schon spät. Aber ich kam grad vorbei und dachte …« Ihre Stimme, blechern entstellt, bricht ab.
Ich drücke auf den Öffner und höre, wie unten die Tür aufspringt.
Frauke.
Abends um kurz nach neun. Bei mir. Einfach so.
In mir trommelt etwas, zwischen schäumender Freude und wilder Überraschung.
Wie immer ist Loulou als Erste oben und begrüßt mich schwanzwedelnd.
Ich streichele sie und sehe zu, wie ihr schwarzweiß geflecktes Hinterteil zielstrebig in der Küche verschwindet.
Dann ist Frauke da.
Sie kommt herein mit einem verlegenen Lächeln auf den Lippen, für das ich sie sofort küssen möchte.
»Hallo«, sage ich und setze zu unserem Begrüßungs-Ritual-Tanz an. »Was verschafft mir denn diese Ehre?«
»Hallo.« Sie umarmt mich, und als ihr Arm sich um mich legt, kribbelt meine Schulter plötzlich, als seien Heerscharen von Ameisen auf ihr unterwegs. Offenbar ist es diese schlimme Feuerameisen-Sorte, die normalerweise nur im Amazonasbecken vorkommt. Sie bespritzen ihre Opfer mit einem beißenden, höllisch scharfen Gift, das innerhalb kürzester Zeit auch die dickste Haut in eine schleimige Masse auflöst.
Wir lassen uns rasch wieder los.
»Stör ich dich beim Arbeiten?«, fragt sie zaghaft. Sie weiß, dass ich ein Nachtmensch bin und oft erst abends richtig mit dem Denken und Schreiben beginne.
Ich winke ab. »Ach, ich kam sowieso nicht vorwärts heute.« In mir ein hoffnungsvolles Beben. Das Was-ist-passiert-Bangen. Nichts kann ich dagegen machen, nichts.
Sobald Frauke im Zusammenhang mit mir etwas Ungewöhnliches tut, bin ich völlig durch den Wind. Auch ohne dass meine Mutter vorher an den Haaren herbeigezogene Erinnerungen aus meiner Kindheit hervorzaubert und dann noch irgendeine Vermieterin mich um den Einzug in ihre wunderbare Wohnung bittet.
Da die Dinge aber nun einmal genau in dieser Kombination stattgefunden haben, hat Fraukes Erscheinen bei mir die Wirkung eines Bombeneinschlages. Und ich fürchte, ich kann es nicht ganz vor ihr verbergen.
»Wäre nett gewesen, wenn ich vorher angerufen hätte, oder?«, fragt sie. Eine rein rhetorische Frage.
Es wäre nett gewesen, ja.
Aber ich freue mich trotzdem wie doll.
Auf eine furchtbare, nicht zu verhehlende Weise freue ich mich, dass sie einfach so an einem Mittwochabend vorbeikommt, ohne vorher anzurufen.
»Eigentlich wollte ich zu Hause in aller Ruhe auf dem Sofa sitzen und lesen«, erzählt sie. »Weißt du, einen ergebenen Hund zu Füßen, ein spannendes Buch über die Liebe oder etwas
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