Emmas Story
großen Tisch. »Ich weiß nicht. Vielleicht hatte ich meinen nostalgischen Tag. Aber als sie zu spät kam, habe ich es gleich bereut. Es war die gleiche Leier wie früher. Werde ich bestimmt nicht wieder machen.«
Armin lässt aber nicht locker.
»Was ihre Gutmütigkeit angeht, die dich so annervt: Wenn ich mich recht erinnere, hast du damals ja auch das eine oder andere mal von Lu profitiert, ohne dich allzu überschwänglich erkenntlich zu zeigen«, bemerkt er spitz.
Ich werfe ihm einen meiner berüchtigten arroganten Blicke zu.
Wenn du etwas wundervoll kannst, wenn du schön bist, dann ist es: arrogant gucken.
Diese Nummer mit den hochgezogenen Brauen, den streng gepressten Lippen und dem kühlen Blick.
Leider sieht Armin gerade nicht zu mir hin, sondern ist damit beschäftigt, den Herd zu untersuchen.
»Ich glaube, das ist so einer mit intelligenten Kochplatten«, murmelt er. »Wenn du nichts auf der Platte stehen hast, geht sie auch nicht an.«
»Noch mal zurück zu deiner netten Vermutung, dass ich Lu genauso ausgenutzt habe wie gewisse blonde Brasilianerinnen«, knurre ich zwischen den Zähnen durch. Lange kann ich meinen arroganten Blick nicht aufrecht halten. Wenn er jetzt nicht langsam hersieht, wird mir alles entgleiten. »Hast du noch weitere, interessante Theorien zu meinem Verhältnis zu Lu?«
»Klar«, sagt Armin fröhlich, sieht auf, mir ins Gesicht, und sein Lächeln verändert sich schlagartig in Richtung amüsiertes Grinsen. »Du hast mit ihr ein Problem, weil du bei ihr nicht die Nummer Eins bist.«
Jetzt fällt mir wirklich alles aus dem Gesicht. Nicht nur meine arrogante Miene.
»Was?«, fahre ich hoch.
»Einen Augenblick noch!«, ruft Irmgard beschwingt aus der Diele.
»Ja, ich denke, Lu fällt unter dein Mittelpunkt-Syndrom«, erklärt Armin.
»Da stimmt nicht«, fauche ich meinen besten Freund an. »Das ist ganz sicher nicht der Grund, weswegen ich ihr gegenüber so verunsichert bin. Für Lu war ich immer der Mittelpunkt. Unsere ganze Kindheit hindurch war ich der Mittelpunkt für sie.«
»Das ist es ja: Du warst es. Jetzt ist es aber anders!« Ich hasse es, wenn er dieses Schlaumeiergesicht macht.
»Klugscheißer«, nuschele ich undeutlich.
»Da bin ich wieder!«, freut sich Irmgard und betritt erneut die Küche. »Was mir gerade noch einfiel: Stövers haben ja drei Katzen. Die laufen draußen rum, jagen Mäuse und was Katzen alles so machen.« Sie lacht gackernd. »Und wenn Stövers im Urlaub sind, hätten sie es ganz gern, wenn ihr euch um die Katzen kümmern würdet. Sind ja nur drei Wochen im Jahr. Da müsst ihr dann das Futter hinstellen und frisches Wasser und jeden zweiten Tag ein bisschen Hühnchenfleisch abkochen. Das war’s auch schon. Katzenklo haben die ja Gott sei Dank nicht, weil sie sich im Garten ihre Eckchen suchen. Ich denke, das ist doch o. k. Für so eine Wohnung würdet ihr bestimmt auch noch andere Dinge tun, nicht?«
»Na, sicher«, beteuert Armin rasch.
»Ich mag Hunde ja lieber«, sage ich.
* * *
Nach unserem Aufbruch vom Ökohaus, von dessen Tür aus uns eine winkende Irmgard verabschiedet, kehren wir diesmal nicht gemeinsam irgendwo ein, um einen Milchkaffee zu trinken.
Armin gibt vor, noch eine Verabredung zu haben. Und ich spreche davon, dass zu Hause eine Menge Arbeit auf mich wartet.
In Wahrheit sind wir beide nach unserem Gespräch etwas angepiekst und wollen erst mal ein bisschen Ruhe voreinander.
Ich kenne das. Beim nächsten Treffen können wir bestimmt wieder darüber lachen. Wobei seine Behauptung, Lu falle unter mein Mittelpunkt-Syndrom, schon ein echter Knaller war, der eigentlich zwei Wochen Schmollen verdient hätte.
Und so hocke ich nach dieser kurzweiligen Ablenkung wieder an meinem Schreibtisch und starre auf den Monitor, von wo aus sich die zuletzt geschriebenen Zeilen meiner Doktorarbeit vom langen Draufstarren bereits in meine Netzhaut brennen.
Am Ende ist es gar keine üble Idee, wenn ich meine Mutter anrufe. Wir haben schon seit Wochen nicht telefoniert.
Sehen tun wir uns meist nur ein- bis zweimal im Jahr zu besonderen Anlässen wie Weihnachten oder Geburtstagen. Kurze Zeit nachdem Lu und ich unser Abi in der Tasche hatten und beide von zu Hause fortgeflogen waren, verkauften meine Eltern die Doppelhaushälfte und zogen an die Nordsee. Immobilien kann man überall verkaufen, wusste mein Vater, der Makler.
Die Fahrt dauert nur etwas über drei Stunden, aber trotzdem halte ich nichts davon, so an der Scholle zu
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