Emmas Story
zurücklächele.
»Guten Morgen, ihr zwei. Habt ihr Appetit auf frische Brötchen und einen starken Kaffee? Ich kann jedenfalls einen vertragen.« Sie schwenkt eine pralle Brötchentüte, die sie unter den Arm geklemmt hatte.
Armin stöhnt verhalten.
»Für mich nur den Kaffee, bitte.«
»Quatsch!«, lacht Lu. »Ein trockenes Brötchen bringt dich wieder auf die Beine. Wirst schon sehen.«
Armin sieht mehr als nur zweifelnd aus und bewegt die erwähnten Beine erst einmal testweise aus dem Notbett hinaus.
Als er sich in dieser Position etwas gefestigt hat, steht er behutsam auf und macht dabei den Eindruck, als sei sein Kopf etwas zur Seite verrutscht.
Er geht zwei Schritte und friert dann wieder in der Bewegung ein.
»Ich bleibe am besten einfach so stehen, okay?«
Lu, die ihn genauso gebannt beobachtet hat wie ich, zuckt die Achseln. »Wenn du willst, kann ich dir den Kaffee auch bringen.«
Armin gibt einen leisen Jammerton von sich, der mir wirklich ans Herz greifen würde, wenn ich nicht wüsste, dass er sein Elend vollkommen selbstbestimmt herbeigeführt hat.
»Ich glaub, ich müsste erst mal was gegen meine volle Blase tun, bevor ich da noch einen Kaffee draufschütte.«
In Lu kommt Bewegung. »Das kannst du aber unmöglich da tun, wo du gerade stehst. Komm, ich zeig dir das Klo.«
Nur mühsam setzt Armin seinen Weg fort.
Ich höre, wie Lu ihn vorsichtig ins Bad manövriert und die Tür hinter ihm schließt.
Dann erscheint ihr weiches Gesicht wieder in der Tür.
»Selig sind die, denen der Schädel platzt, denn sie können nicht an ihren Kummer denken«, sage ich, um irgendetwas zu sagen.
Sie sieht mich so an, dass mir ganz schwindelig wird.
Wie kann es sein, dass sie so anders aussieht? So ganz und gar verändert?
Das war doch nur ein Kuss.
Sicher wird sie gleich etwas sagen.
Vielleicht wird sie zu mir kommen und ihre Arme um mich legen, so wie heute Nacht.
Auf alle Fälle wird sie mich fragen.
Was das sollte.
Was sollte das eigentlich, Emma?
Lu sieht vorsichtig aus.
Dann macht sie ein paar Schritte, und ich halte schon den Atem an, aber sie geht an mir vorbei, ohne mich zu berühren und lässt sich auf die Ausziehcouch fallen.
Wir sagen ziemlich lange beide nichts. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Was wird das erste Wort sein?
Wird sie mir erklären, dass ihre Gefühle für mich längst nicht mehr die alte Tiefe haben? Wird sie mir erzählen, dass alles wieder so ist wie früher? Was kann ein Kuss – na gut, viele Küsse – schon verändern?
»Wie lange geht die Geschichte zwischen ihm und diesem Mann schon?«, fragt sie schließlich und überrascht mich total damit.
Ich hätte schwören können, dass sie unser Alleinsein nutzt, um mich darauf anzusprechen, was jetzt mit uns sein wird.
Aber gut. Wenn sie lieber über Armin reden will.
Soll mir Recht sein.
»Drei Jahre«, antworte ich also. »Am Anfang hat er noch nach jedem Date behauptet, er will sich nicht mehr mit Rolf treffen. Aber dann hat der irgendwann mal davon gesprochen, dass er seine Frau verlassen möchte.«
»Echt?«
»Ja. Er wollte ganz offen in einer festen Beziehung mit Armin leben. Hat er jedenfalls gesagt.«
»Und dann?«
»Nichts. Er hat’s einfach nicht getan. Es war immer was anderes. Zuerst hat seine Frau, Karin heißt sie, den Job verloren. Dann war die Schwiegermutter krank. Dann hatte das Kind eine Theateraufführung. Und, und, und …«
Aus dem Bad sind eindeutige Geräusche zu hören, die belegen, dass Armin nicht nur seine Blase erleichtert.
»Der Arme«, sagt Lu mitfühlend.
»Selbst Schuld!«, kommentiere ich gnadenlos.
Lu lächelt. »Warst du noch nie so unglücklich, dass du dich einfach nur noch heillos betrinken wolltest?«
Ich schüttele den Kopf. »Wahrscheinlich gehe ich mit unglücklichen Lieben anders um als der Großteil der Bevölkerung.«
Sie seufzt. »Da kann man ja nur hoffen, dass dieser Typ sich gestern auf Mallorca auch ordentlich betrinken musste. Oder glaubst du, für den ist alles Friede, Freude, Eikuchen?«
»Eier«, sage ich und möchte mir am liebsten sofort auf die Zunge beißen.
»Eier«, wiederholt Lu und schließt kurz die Augen.
Ich weiß nicht, wieso sie das macht. Aber Tatsache ist, dass sie mich damit total aus dem Konzept bringt.
Ich sehe nur für ein paar wenige Sekunden ihre Augenlider, die in einem dunklen Olivton schimmern. Ihre Augenlider mit den langen, dichten, schwarzen Wimpern. Und schon weiß ich nicht mehr, was ich sagen
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