Empfindliche Wahrheit (German Edition)
wir uns die Hand und gehen unserer Wege.«
»Das klingt aber nicht nach Shorty, so wie du ihn mir beschrieben hast«, erwidert sie streng.
Und damit gerät die Unterhaltung ins Stocken, Emily schlägt die Augen nieder und stützt das Kinn sinnend auf die aneinandergelegten Fingerspitzen, und Toby nimmt an, dass sie sich für das Telefonat mit ihrem Vater wappnet, das sie in Kürze auf dem Umweg über Mrs. Marlow führen muss.
Und als sie die Hand ausstreckt, denkt er, sie will nach dem schwarzen Burner greifen. Aber stattdessen greift sie nach seiner Hand und nimmt sie bedächtig in ihre beiden, fast wie um ihm den Puls zu fühlen, aber nur fast, bevor sie sie ohne Kommentar oder Erklärung behutsam auf sein Bein zurücklegt.
»Auch egal«, sagt sie leise und ungeduldig zu sich selbst – oder doch zu ihm? Er ist sich nicht sicher.
Wünscht sie sich in diesem Krisenmoment Trost von ihm und ist zu stolz, darum zu bitten?
Ist es ein Zeichen, dass sie ihn in Betracht gezogen hat, nun aber doch nicht interessiert ist, weshalb sie ihm seine Hand zurückgibt?
Oder hat sie in ihrer Anspannung nach der imaginären Hand eines Geliebten gegriffen, gegenwärtig oder verflossen? Diese Auslegung war ihm die sympathischste, und er liebäugelte auch jetzt, während er tapfer an seinem neuen Schreibtisch im ersten Stock des Außenministeriums ausharrte, wieder damit, als der silberne Burner in seiner Jackentasche mit einem uncharmanten Quäken den Eingang einer neuen SMS verkündete.
Toby hatte die Jacke zu diesem Zeitpunkt nicht an. Sie hing über seiner Rückenlehne. Er musste sich umdrehen und das Handy aus der Tasche kramen, was er mit deutlich mehr Eifer tat, als er sich erlaubt hätte, wenn ihm in dem Moment bewusst gewesen wäre, dass seine furchtgebietende Stellvertreterin Hilary auf der Türschwelle stand und ihn dringend zu sprechen wünschte. Er führte die Bewegung trotzdem zu Ende, fischte mit entschuldigendem Lächeln den Burner aus seiner Tasche, suchte auf der ungewohnten Tastatur nach dem richtigen Knopf, drückte ihn und las, immer noch lächelnd:
Dad hat meiner Mutter einen durchgeknallten Brief geschrieben und sitzt im Zug nach London.
***
Der Warteraum des Foreign Office war ein fensterloses Verlies mit kratzigen Polsterstühlen, Glastischchen und unlesbaren Zeitschriften über Großbritanniens industrielle Errungenschaften. An der Tür wachte ein stämmiger Schwarzer in einer braunen Uniform mit gelben Epauletten, und hinter einem Tresen saß eine sphinxhafte asiatische Matrone in gleicher Aufmachung. Zu Kits Mitsträflingen gehörten ein bärtiger griechischer Prälat und zwei indignierte, nicht mehr ganz junge Damen, die sich über ihre Behandlung im britischen Konsulat in Neapel beschweren wollten. Es war natürlich eine bodenlose Unverschämtheit, dass man einen hochrangigen Exmitarbeiter – und Leiter einer diplomatischen Vertretung – hier warten ließ, und wenn die Zeit reif war, würde er dem an geeigneter Stelle auch Ausdruck verleihen. Doch bei seiner Ankunft in Paddington hatte er sich vorgenommen, höflich, aber bestimmt aufzutreten, zu allen Zeiten ruhig Blut zu bewahren und im Interesse der übergeordneten Sache jegliche Pfeile, die auf ihn abgeschossen wurden, an sich abprallen zu lassen.
»Probyn mein Name«, hatte er an der Pforte aufgeräumt verkündet, seinen Führerschein schon in der Hand, falls jemand einen Beweis von ihm wollte. »Sir Christopher Probyn, ehemaliger Hochkommissar. Gehe ich noch als Mitarbeiter durch? Anscheinend nicht. Macht nichts. Trotzdem sehr erfreut.«
»Zu wem wollen Sie?«
»Zum Staatssekretär – oder, wie man heutzutage ja wohl sagt, dem geschäftsführenden Direktor«, fügte er entgegenkommend hinzu, wobei er seine Verachtung für die Big-Business-Allüren des Ministeriums weise verbarg. »Ich weiß, dass das hochgegriffen ist, noch dazu, wo ich ohne Termin komme. Aber ich habe ein hochsensibles Dokument für ihn. Oder, wenn alle Stricke reißen, seinen persönlichen Referenten. Streng vertraulich, fürchte ich, und extrem dringend« – das alles mit munterer Stimme durch ein fünfzehn Zentimeter großes Loch in einer Panzerglasscheibe gesprochen, während auf der anderen Seite ein ungnädiger Jüngling in einem blauen Hemd mit Rangabzeichen die Einzelheiten in einen Computer tippte.
» Kit , unter dem Namen kennen sie mich wahrscheinlich in seinem Büro oben. Kit Probyn . Sind Sie ganz sicher, dass ich nicht mehr unter Mitarbeiter falle?
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