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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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seine eigene ist.
    »Was für Kleider trägt er?«, fragt er.
    »Die volle Montur. Dunkler Anzug, Ausgehschuhe, Lieblingskrawatte, dunkelblauer Regenmantel. Und kein Spazierstock, was meine Mutter als Omen sieht.«
    »Hat Kit deiner Mutter gesagt, dass Jeb tot ist?«
    »Nein, aber ich. Sie ist außer sich vor Sorge. Nicht um sich, sondern um Kit. Aber dabei pragmatisch wie immer. Sie hat am Bahnhof in Bodmin angerufen. Der Landrover steht auf dem Parkplatz, und die Frau am Schalter meint sich zu erinnern, dass er eine Senioren-Tageskarte erster Klasse gekauft hat. Der Zug ist pünktlich abgefahren und pünktlich in Paddington angekommen. Und sie hat in seinem Club angerufen. Wenn er sich blicken lässt, sollen sie ihn bitten, sich bei ihr zu melden. Ich habe ihr gesagt, dass das nicht ausreicht. Sie sollen sie direkt benachrichtigen. Sie hat versprochen, noch mal im Club anzurufen. Und danach ruft sie mich an.«
    »Und Kit hat sich nicht gerührt, seit er das Haus verlassen hat?«
    »Nein, und ans Handy geht er auch nicht.«
    »Ist das das erste Mal, dass er so was macht?«
    »Auf Tauchstation geht?«
    »Abhaut, ausrastet, die Dinge selbst in die Hand nimmt – was immer.«
    »Als sich mein heißgeliebter Ex mit einer neuen Freundin und der Hälfte meiner Hypothek aus dem Staub gemacht hat, ist Dad losgezogen und hat ihre Wohnung belagert.«
    »Und dann?«
    »Es war die falsche Wohnung.«
    Mit einem bänglichen Blick hinauf zu den hohen Bogenfenstern seines Ministeriums tritt Toby den Rückweg an. Er reiht sich ein in den Strom stirnrunzelnder schwarzgekleideter Beamter, die die Clive Steps hinauf- und hinuntergehen, und spürt das gleiche ungute Ziehen im Magen wie an dem strahlenden Frühlingssonntag vor drei Jahren, als er hierherkam, um seine illegale Tonbandaufnahme nach draußen zu schmuggeln.
    An der Pforte geht er ein kalkuliertes Risiko ein:
    »Sagen Sie« – er hält dem Wachmann seinen Ministeriumsausweis hin –, »hat sich heute zufällig ein ehemaliger Mitarbeiter hier registriert, der Sir Christopher Probyn heißt?« Und hilfsbereit: »P-R-O-B-Y-N.«
    Der Wachmann schaut eine ganze Weile in seinen Computer.
    »Hier nicht. Vielleicht an einem anderen Eingang. Hatte er einen Termin?«
    »Weiß ich nicht«, sagt Toby, steigt die Treppe hinauf und kehrt zurück zu den Beratungen seiner Abteilung darüber, welche Haltung England in der Libyen-Frage wohl am besten zu Gesicht steht.
    ***
    »Sir Christopher?«
    »Der bin ich.«
    »Ich bin Asif Lancaster aus dem Büro des geschäftsführenden Direktors. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir.«
    Lancaster war schwarz, unüberhörbar aus Manchester und wirkte nicht älter als achtzehn, aber so wirkten auf Kit dieser Tage viele. Dennoch wurde ihm beim Anblick des Jungen gleich leichter ums Herz. Wenn das Ministerium seine Tore endlich den Lancasters dieser Welt öffnete, folgerte er vage, dann durfte er wohl auch auf ein geneigteres Ohr hoffen, wenn er den Leutchen hier ein paar unerfreuliche Wahrheiten über ihre Handhabung der Operation Wildlife samt Nachspiel verklickerte.
    Sie waren in einem Besprechungszimmer angekommen. Bequeme Sessel. Ein langer Tisch. Aquarelle vom Lake District. Lancaster streckte die Hand aus.
    »Hören Sie, eins muss ich Sie noch fragen«, sagte Kit, nach wie vor nicht recht willens, sich von seinem Schriftstück zu trennen. »Haben Sie und Ihr Team die Autorisierung für Wildlife?«
    Lancaster sah ihn an, sah den Umschlag an und gestattete sich dann ein mehrdeutiges Lächeln.
    »Ich glaube, das kann ich guten Gewissens bejahen«, entgegnete er, löste das Dokument sanft aus Kits widerstandloser Hand und verschwand damit nach nebenan.
    ***
    Nach der goldenen Cartier-Uhr, die Suzanna ihm zur Silberhochzeit geschenkt hatte, vergingen noch einmal neunzig Minuten, ehe Lancaster die Tür öffnete, um den angekündigten Justiziar und seine Verstärkung einzulassen. In dieser Zeit war Lancaster nicht weniger als viermal bei ihm erschienen, einmal, um Kit einen Kaffee anzubieten, ein zweites Mal, um den Kaffee zu bringen, und die restlichen beiden Male, um ihm zu versichern, dass Lionel an der Sache dran sei und zu ihm kommen werde, »sobald er und Frances mit dem ganzen Papierkram durch sind«.
    »Lionel?«
    »Der stellvertretende Leiter unserer Rechtsabteilung. Verbringt die Hälfte der Woche im Cabinet Office und die andere Hälfte bei uns. Er war Assistent des Rechtsattachés in Paris, sagt er, als Sie dort Handelssekretär

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