Empfindliche Wahrheit (German Edition)
waren.«
»Ja, ja, natürlich, Lionel !« Kits Miene hellte sich auf: der ehrenwerte, gehemmte junge Lionel mit dem blonden Haar und den Sommersprossen, der aufopferungsvoll mit den unscheinbarsten Frauen im Saal tanzte!
»Und Frances?«, erkundigte er sich hoffnungsfroh.
»Frances ist unsere neue Sicherheitschefin, das fällt jetzt auch ins Ressort des geschäftsführenden Direktors. Ebenfalls Juristin, fürchte ich.« Lächeln. »Hatte ihre eigene Kanzlei, bis sie sich eines Besseren besonnen hat, und jetzt ist sie glücklich bei uns.«
Kit war froh um diese Information, denn andernfalls wäre er nicht auf die Idee gekommen, dass Frances glücklich sein könnte. Ihre ganze Art, als sie ihm gegenüber Platz nahm, hatte etwas ausgesprochen Grämliches, was aber auch an dem strengen schwarzen Kostüm, dem sehr kurzen Haar und der Beharrlichkeit liegen mochte, mit der sie seinen Blick mied.
Lionel dagegen war auch jetzt, zwanzig Jahre später, noch der biedere Erbsenzähler von damals. Gut, die Sommersprossen waren inzwischen eher Leberflecken, und das Blond war zu einem ungewissen Grau verblichen. Aber das Lächeln war unvermindert eifrig und der Händedruck nach wie vor einen Tick zu fest. Damals hatte er Pfeife geraucht, erinnerte Kit sich – die war inzwischen sicher abgeschafft.
»Kit, toll, Sie wiederzusehen«, erklärte Lionel, wobei er das Gesicht in seiner Begeisterung etwas näher an das von Kit brachte, als diesem lieb war. »Wie fühlt man sich im wohlverdienten Ruhestand? Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich meinen herbeisehne! Wobei man ja die reinsten Wunderdinge über Ihre Zeit in der Karibik hört.« Und mit gesenkter Stimme: »Und Suzanna? Wie steht es da? Sieht es ein bisschen besser aus?«
»Sehr viel besser. Doch, danke, ein Riesen schritt nach vorn«, antwortete Kit. Und nachgeschoben, schroffer: »Mir brennt das hier offen gestanden ein bisschen auf den Nägeln, Lionel. Uns beiden. Es war doch ein ziemlicher Schlauch. Besonders für Suki.«
»Ja, natürlich, das ist uns absolut bewusst – und wir sind extrem dankbar für Ihr außerordentlich hilfreiches, um nicht zu sagen, hochangebrachtes Dokument, und auch dafür, dass Sie die Sache an uns herantragen, ohne, nun ja, unnötig Staub aufzuwirbeln«, sagte Lionel, von Gehemmtheit keine Spur mehr, während er sich an den Tisch setzte. »Nicht wahr, Frances? Und natürlich« – zackig schlug er einen Ordner mit einer Fotokopie von Kits handschriftlichem Bericht auf – »haben Sie unsere vollste Anteilnahme. Ich meine, nicht auszudenken, was Sie durchgemacht haben müssen. Und Suzanna auch, die Ärmste. Frances, da spreche ich ja sicher für uns beide, oder?«
Wenn ja, so ließ die Sicherheitschefin davon nichts erkennen. Sie blätterte ebenfalls in einer Kopie von Kits Dokument, aber so konzentriert und langsam, dass er sich zu fragen begann, ob sie es auswendig lernen wollte.
»Hat Suzanna je eine Erklärung unterzeichnet, Sir Christopher?«, erkundigte sie sich, ohne aufzuschauen.
»Was für eine Erklärung?«, fragte Kit, ausnahmsweise nicht geschmeichelt von der Anrede, zurück. » Was unterzeichnet?«
»Eine Geheimhaltungsverpflichtung« – den Kopf immer noch über seinen Bericht gebeugt. »Dass sie über die Bedingungen und Strafbestimmungen im Bilde ist.« Und zu Lionel, ehe Kit antworten konnte: »Oder haben wir Ehepartner und Lebensgefährten damals noch nicht verpflichtet? Ich bin mir jetzt nicht sicher, wann wir das eingeführt haben.«
»Hm, ja, ganz sicher bin ich mir auch nicht«, erwiderte Lionel beflissen. »Kit, wie sehen Sie das?«
»Keine Ahnung«, knurrte Kit. »In meiner Gegenwart hat sie jedenfalls nichts unterschrieben. Und erzählt hat sie davon auch nie was.« Und indem sich die so lange unterdrückte Wut endlich doch Bahn brach: »Was soll dieser Mist von wegen verpflichtet oder nicht verpflichtet? Ist schließlich nicht meine Schuld, dass sie’s erfahren hat. Und ihre erst recht nicht. Aber sie ist verzweifelt. Ich bin verzweifelt. Sie braucht eine Antwort. Wir alle brauchen eine Antwort.«
»Alle?« Frances hob in blässlicher Bestürzung den Kopf. »Was heißt alle? Wollen Sie damit sagen, dass noch andere über den Inhalt Ihres Dokuments Bescheid wissen?«
»Wenn, dann nicht durch mich«, gab Kit verärgert zurück, mit einem solidaritätsheischenden Blick zu Lionel. »Und nicht durch Jeb. Jeb war kein Schwätzer, Jeb hat sich korrekt verhalten. Sich nicht an die Presse gewandt, gar nichts.
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