Empfindliche Wahrheit (German Edition)
Expresszugs nach Paddington verflüchtigte sich auch diese Stimmung, und wenig später gönnte er sich ein traditionelles englisches Frühstück »am Platz«, mit Tee allerdings statt mit Kaffee, denn Suzanna sorgte sich um sein Herz.
***
Während Kits Zug Richtung London eilte, saß Toby Bell steif aufgerichtet an seinem Ministeriumsschreibtisch und widmete sich der jüngsten Krise in Libyen. In seinem Kreuz stach es wie von Nadeln, dank Emilys Sofa, und er bekämpfte den Schmerz mit einer Mischung aus Nurofen, einem abgestandenen Rest Mineralwasser und unzusammenhängenden Erinnerungen an die letzten Stunden mit Emily in ihrer Wohnung.
Nachdem sie ihn mit Daunendecke und Kissen versorgt hatte, war sie zunächst in ihrem Schlafzimmer verschwunden. Aber recht bald erschien sie wieder, gekleidet wie zuvor, und er wurde noch wacher und unentspannter als in ihrer Abwesenheit.
Sie nahm in sicherem Abstand Platz und befahl ihm, ihr seine Fahrt nach Wales näher zu schildern. Er gehorchte bereitwilligst. Sie wollte die unschönen Details hören, und er lieferte sie: das Blut aus der Arterie, das um die Kurve gespritzt sein sollte und bei dem es sich vielleicht um Mennige handelte, vielleicht aber auch nicht; Harrys Verkaufspläne für Jebs Bus; Brigids ausgeprägte Vorliebe für Fäkalwörter und Jebs frohe letzte Botschaft an dem Morgen nach seinem Gespräch mit Kit, als er sie aufgefordert hatte, Harry abzuservieren und mit ihm neu anzufangen.
Emily hörte geduldig zu; ihre großen braunen Augen betrachteten ihn in dem Halblicht des heraufziehenden Morgens mit beunruhigender Unverwandtheit.
Er berichtete ihr von Jebs und Shortys Streit um die Fotos, und wie Jeb sie versteckt und Brigid sie gefunden hatte, und dass sie Toby erlaubt hatte, sie mit dem BlackBerry zu kopieren.
Er zeigte sie ihr, weil sie darauf bestand, und sah ihren Gesichtsausdruck auf die gleiche Weise einfrieren wie abends im Krankenhaus.
»Warum hat Brigid dir vertraut, meinst du?«, wollte sie wissen, worauf er nur erwidern konnte, dass Brigid in ihrer Verzweiflung eben zu dem Schluss gekommen sein musste, dass er vertrauenswürdig sei, aber so ganz überzeugt wirkte sie nicht.
Als Nächstes wollte sie wissen, wie er an Jebs Namen und Adresse gelangt war, und Toby nannte zwar Charlies Namen nicht, erwähnte aber, dass er und seine Frau alte Freunde seien und dass er in der Vergangenheit einmal ihrer musikalischen Tochter einen Gefallen getan habe.
»Die offenbar wirklich eine sehr vielversprechende Cellistin ist«, setzte er irrelevanterweise hinzu.
Emilys nächste Frage traf ihn völlig unvorbereitet:
»Warst du mit ihr im Bett?«
»Guter Gott, nein, spinnst du?«, sagte er aufrichtig schockiert. »Wie kommst du denn auf so was?«
»Meine Mutter sagt, du hättest massenweise Frauengeschichten gehabt. Sie hat sich bei den Diplomatengattinnen über dich erkundigt.«
»Deine Mutter ?«, wiederholte er entgeistert. »Was sagen die Diplomatengattinnen denn von dir, hast du das schon mal überlegt?«
Woraufhin sie beide lachen mussten, wenn auch etwas unsicher, und der Moment verstrich. Und danach wollte Emily lediglich noch wissen, wer Jeb ermordet hatte, vorausgesetzt, es war Mord, was wiederum Toby zu einer etwas wirren Schmährede gegen den Staat im Staat trieb und im Anschluss zu einer Anklage gegen den sich stetig erweiternden Kreis von nichtstaatlichen Insidern aus dem Bankensektor und der Industrie, die Zugang zu Geheiminformationen hatten, an die der Großteil der Beamten in Whitehall und Westminster nicht herankam.
Und als er mit diesem schwerfälligen Monolog am Ende war, schlug es sechs, und inzwischen lag er nicht mehr, sondern hatte sich aufgesetzt, so dass Emily züchtig neben ihm sitzen konnte, und auf dem Tisch vor ihnen lagen die beiden Handys.
Ihre nächste Frage kommt in schulmeisterlichem Ton daher:
»Und was genau versprichst du dir von dem Treffen mit Shorty?«, erkundigt sie sich und wartet dann, während er seine Antwort formuliert, was nicht ganz leicht ist, denn erstens weiß er keine, und zweitens hat er ihr aus lauter Rücksicht verschwiegen, dass er Shorty in einer zweifelhaften Tarnung als Journalist entgegentreten wird, ehe er sein wahres Ich enthüllt.
»Ich muss einfach sehen, wie er drauf ist«, sagt er nonchalant. »Wenn ihm Jebs Tod so an die Nieren gegangen ist, wie er behauptet, ist er vielleicht bereit, in Jebs Fußstapfen zu treten und für uns auszusagen.«
»Und wenn nicht?«
»Tja, dann geben
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