Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
früher die verheirateten Militärangehörigen untergebracht gewesen. Die Nummer zehn war das letzte Haus in der Reihe. Ein weiß gestrichener Fahnenmast stand davor, aber es wehte keine Flagge daran. Toby klinkte das Tor auf. Der Junge auf dem Fahrrad machte eine Vollbremsung neben ihm. Die Haustür war aus Riffelglas. Klingel gab es keine. Von dem Jungen beobachtet, klopfte er an die Scheibe. Der Umriss einer Frau erschien. Die Tür ging auf. Blond, etwa in Tobys Alter, ungeschminkt, mit geballten Fäusten, vorgerecktem Kinn, und mehr als geladen.
    »Wenn Sie Reporter sind, können Sie sich gleich wieder verpissen. Mir reicht’s von euch Arschlöchern.«
    »Ich bin kein Reporter.«
    »Was wollen Sie dann von mir?« – kein Walisisch, sondern ein bodenständiges, kampfbereites Irisch.
    »Sind Sie zufällig Mrs. Owens?«
    »Und wenn?«
    »Mein Name ist Bell. Ich hätte gern kurz Ihren Mann gesprochen. Jeb.«
    Der Junge, der sein Rad an den Zaun gelehnt hatte, zwängte sich an Toby vorbei und stellte sich neben die Frau, den Arm besitzergreifend um ihren Oberschenkel gehakt.
    »Meinen Mann wollen Sie sprechen. Jeb. Und wozu?«
    »Ich bin eigentlich für einen Freund hier, Paul heißt er« – zeigte sie eine Reaktion? Er konnte keine feststellen. »Paul und Jeb waren am Mittwoch verabredet. Jeb ist nicht gekommen. Paul macht sich Sorgen um ihn. Er hat Angst, ihm könnte etwas passiert sein, ein Unfall mit seinem Bus, was auch immer. Auf der Handynummer, die Jeb ihm gegeben hat, erreicht er niemanden. Und da ich zufällig in der Gegend zu tun hatte, hat er mich gebeten zu schauen, ob ich nicht etwas herausfinden kann«, erklärte er leichthin oder zumindest so leichthin, wie er es vermochte.
    »Am Mittwoch?«
    »Ja.«
    »Letzten Mittwoch?«
    »Ja.«
    »Morgen vor einer Woche?«
    »Ja.«
    »Verabredet wo?«
    »Bei ihm zu Hause.«
    »Und zu Hause ist wo, verdammt?«
    »In Cornwall. Nord-Cornwall.«
    Ihr Gesicht war starr, das des Jungen auch.
    »Warum kommt er nicht selber, Ihr Freund?«
    »Paul ist ans Haus gebunden. Seine Frau ist krank. Er kann sie nicht allein lassen«, antwortete Toby, der sich langsam fragte, wie lange seine Improvisationskünste noch ausreichen würden.
    Ein großer, ungeschlachter grauhaariger Mann mit Brille und Wolljacke war hinter der Frau erschienen und beäugte ihn.
    »Wo brennt’s denn, Brigid?«, erkundigte er sich mit einer ernsten Stimme, die Toby spontan sehr weit nördlich einordnete.
    »Mit Jeb will er sprechen. Er hat einen Freund, der Paul heißt und den Jeb letzten Mittwoch in Cornwall treffen sollte. Und jetzt will er wissen, warum Jeb nicht zu ihrem Scheißdate erschienen ist – sagt er.«
    Der Mann legte eine onkelhafte Hand auf den roten Schopf des Jungen.
    »Danny, wie wär’s, wenn du ein bisschen rüber zu Jenny gehst und da spielst? Und wir können den Herrn doch nicht hier an der Tür abfertigen, nicht wahr, Mr. …?«
    »Toby.«
    »Und ich bin Harry. Freut mich, Sie kennenzulernen, Toby.«
    Gewölbte Decke mit einer Konstruktion aus Eisenträgern. Der Linoleumboden glänzend vor Politur. In der Küchennische Kunstblumen auf einem weißen Tischtuch. Und in der Zimmermitte, beim Fernseher, eine Couchgarnitur, Zweisitzer plus Sessel. Brigid setzte sich auf eine Armlehne. Toby blieb ihr gegenüber stehen, während Harry eine Schublade am Sideboard aufzog und einen graubraunen Ordner herausholte, ihn in beide Hände nahm wie ein Gesangbuch und sich mit einem Atemholen, als wollte er zu singen anfangen, vor Toby hinstellte.
    »Haben Sie Jeb denn auch persönlich kennengelernt, Toby?«, erkundigte er sich einleitend, vorsichtig.
    »Nein, wieso?«
    »Das heißt, Ihr Freund Paul hat ihn getroffen, aber Sie nicht, ist das richtig, Toby?«, vergewisserte er sich noch einmal.
    »Nur mein Freund«, bestätigte Toby.
    »Sie kennen Jeb also überhaupt nicht. Auch keine Bekanntschaft vom Sehen.«
    »Nein.«
    »Nun, das wird trotzdem ein Schock für Sie sein, Toby, und ein noch größerer Schock für Ihren Freund Paul, der heute leider nicht bei uns sein kann. Aber der arme Jeb ist letzten Dienstag auf tragische Weise durch eigene Hand gestorben, und wir sind noch dabei, damit zu Rande zu kommen, wie Sie sich sicherlich vorstellen können. Und erst recht Danny natürlich, obwohl man sich manchmal doch fragen muss, ob nicht Kinder mit diesen Dingen besser umgehen können als wir Erwachsenen.«
    »Ist ja wohl breit genug getreten worden in der Presse«, übertönte Brigid Tobys

Weitere Kostenlose Bücher