Empfindliche Wahrheit (German Edition)
angehende Cellistin, hatte nicht den Notendurchschnitt für ein Vorspiel an einem altehrwürdigen Londoner Musikkollegium mitgebracht. Die Direktorin des Kollegiums war rein zufällig die beste Freundin von Tobys Tante mütterlicherseits, die ebenfalls Musik unterrichtete. Ein paar Telefonate wurden geführt, Vorspieltermine in aller Eile festgesetzt, und seitdem war kein Weihnachten vergangen, ohne dass Toby, wo immer sein Dienst ihn hinführte, eine Dose mit Beatrix’ selbstgebackenen Spitzbuben und eine goldbestäubte Karte erhielt, die stolz über die Fortschritte der hochbegabten Tochter berichtete. Und auch nachdem Charlie und Beatrix ihren Ruhestand in Brighton angetreten hatten, blieben die Spitzbuben und die Karten nicht aus, und Toby versäumte es nie, sein Dankesbrieflein zu schreiben.
***
Der Wilkins’sche Bungalow in Brighton lag weiter von der Straße ab als die anderen Häuser und hätte ein Direktimport aus dem Schwarzwald sein können. Ein Spalier aus rotbefrackten Tulpen führte zu einer Zuckerbäckerveranda, vor der sich Gartenzwerge mit Lederhosen in die knopfbesetzte Brust warfen, und hinter dem riesigen Panoramafenster machten Kakteen die stachligen Arme lang. Beatrix hatte sich extra für Toby herausgeputzt. Bei badischem Wein und Leberknödeln plauderten die drei Freunde über die alten Zeiten und tranken auf den musikalischen Siegeszug der Tochter. Und nach Kaffee und Likör zogen sich Charlie und Toby ins Gartenhäuschen zurück.
»Es ist für eine Bekannte von mir, Charlie«, erklärte Toby, wobei er der Bekannten im Geist zweckmäßigerweise Emilys Gesicht verlieh.
Charlie Wilkins lächelte befriedigt. »Ich sag noch zu Beatrix: Wenn es Toby ist – cherchez la femme! «
Und diese Bekannte, Charlie – fuhr er fort, unter kleidsamem Erröten jetzt –, war letzten Samstag einkaufen und hat es geschafft, einen geparkten Campingbus zu rammen und ziemlich übel zu beschädigen, was insofern doppelt ungünstig ist, als sie ohnehin schon einen Haufen Strafpunkte hat.
»Zeugen?«, erkundigte sich Charie Wilkins anteilnehmend.
»Sie schwört, nein. Es war in einer entlegenen Ecke des Parkplatzes.«
»Freut mich zu hören«, kommentierte Charlie Wilkins mit leichter Skepsis in der Stimme. »Und auch keine Videoüberwachung?«
»Anscheinend nicht.« Toby mied Charlies Blick. »Soweit man bis jetzt weiß, muss man natürlich dazusagen.«
»Natürlich«, echote Charlie Wilkins höflich.
Und da sie eigentlich ein grundguter Mensch ist, redete Toby tapfer weiter, und da sie nicht eher wieder ruhig schlafen kann, als bis sie den Schaden beglichen hat – nur kann sie eben auf gar keinen Fall sechs Monate auf ihren Führerschein verzichten, Charlie! –, und da sie zumindest so viel Geistesgegenwart hatte, sich das Autokennzeichen zu notieren, fragte sich nun Toby – oder vielmehr, fragte sie sich, ob es nicht irgendeinen Weg geben könnte … die Vollendung des Satzes überließ er taktvoll Charlie.
»Und hat die werte Dame eine Vorstellung davon, was eine so hochexklusive Dienstleistung in etwa kostet?«, fragte Charlie, indem er eine Altherrenbrille aufsetzte und den Zettel studierte, den Toby ihm hinschob.
»Was immer es kostet, Charlie, ich komme dafür auf«, erwiderte Toby großspurig, mit einem erneuten stummen Gruß an Emily.
»Na, wenn das so ist, gib mir zehn Minuten, geh auf einen Schlummertrunk rüber zu Beatrix«, sagte Charlie, »und der Witwen- und Waisenfonds der Metropolitan Police wird sich über eine Spende von zweihundert Pfund freuen, in bar bitte, ohne Quittung, und für mich nichts, um der alten Zeiten willen.«
Und richtig, zehn Minuten später reichte Charlie ihm den Zettel zurück, auf dem jetzt in sorgfältiger Polizistenschrift ein Name und eine Adresse standen, und Toby sagte: Phantastisch, Charlie, ganz toll, ihr wird ein Stein vom Herzen fallen, können wir bitte auf dem Weg zum Bahnhof bei einem Bankautomaten halten?
Aber der Ausdruck der Besorgnis, der auf Charlie Wilkins’ sonst so heiterem Gesicht erschienen war, verschwand dadurch nicht und blieb auch, nachdem Toby aus einem Loch in der Wand zweihundert Pfund gezogen und sie Charlie pflichtschuldig ausgehändigt hatte.
»Dieser Gentleman, den du ausfindig gemacht haben wolltest«, sagte er. »Ich meine nicht das Auto. Ich meine den Gentleman, dem es gehört. Den walisischen Gentleman, seiner Adresse nach zu schließen.«
»Was ist mit ihm?«
»Laut meinem Bekannten bei der Met ist der Name
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