Empfindliche Wahrheit (German Edition)
halblautes Beileidsgestammel. »Die ganze Scheißwelt weiß es, nur er und sein Freund Paul nicht.«
»Nur in der Lokalpresse, Brigid«, berichtigte Harry und reichte Toby den Ordner. »Und den Argus liest nicht jeder.«
»Im Scheiß- Evening Standard kam’s auch.«
»Gut, es liest auch nicht jeder den Evening Standard , muss man sagen. Nicht, seit es ihn umsonst gibt. Die Leute schätzen nur, was sie kaufen, nicht, was ihnen gratis nachgeworfen wird. Das ist nun mal die menschliche Natur.«
»Es tut mir wirklich aufrichtig leid«, konnte Toby einflechten. Er hatte den Ordner aufgeklappt und starrte auf die Zeitungsausschnitte.
»Sie kannten ihn doch nicht mal, verdammt«, sagte Brigid.
SEIN LETZTER KAMPF
Die Polizei hat ihre Ermittlungen im Fall des ehemaligen Special-Forces-Angehörigen David Jebediah (Jeb) Owens eingestellt. Der 34 -Jährige, der an einer Schussverletzung starb, erlag laut Aussage des Coroners dem »jahrelangen aussichtslosen Kampf gegen seine posttraumatische Belastungsstörung und die dadurch ausgelösten Formen klinischer Depression« …
SPECIAL - FORCES - HELD : SELBSTMORD
… diente tapfer in Nordirland, wo er seine künftige Frau Brigid von der Royal Ulster Constabulary kennenlernte. Spätere Einsätze in Bosnien, Irak, Afghanistan …
»Wollen Sie Ihren Freund vielleicht anrufen, Toby?«, schlug Harry gastlich vor. »Es gibt einen Wintergarten hinterm Haus, falls Sie für sich sein möchten, und wir haben sehr guten Empfang hier, wegen der Radarstation gleich ums Eck, wäre mein Tipp. Die Einäscherung war gestern – engster Familienkreis, keine Kränze, nicht wahr, Brigid? Ihr Freund hat nichts verpasst, das können Sie ihm sagen, er muss sich keinerlei Vorwürfe machen.«
»Was sagen Sie Ihrem Freund außerdem noch, Mr. Bell?«, wollte Brigid von ihm wissen.
»Das, was ich hier gelesen habe. Es ist eine furchtbare Nachricht.« Er probierte es noch einmal: »Es tut mir so schrecklich leid, Mrs. Owens.« Und zu Harry: »Danke, aber ich glaube, ich sage es ihm lieber persönlich.«
»Kann ich verstehen, Toby. Ist auch respektvoller so, wenn ich das sagen darf.«
»Jeb hat sich das Hirn rausgeballert, Mr. Bell, falls das Ihren Freund interessiert. In seinem Bus. Das steht nicht in den Artikeln, Journalisten haben ja schließlich Taktgefühl. Irgendwann Dienstagabend laut Coroner, zwischen sechs und zehn. Er hatte den Bus in der Ecke von einer dieser platten Wiesen bei Glastonbury geparkt, Somerset Levels heißt die Gegend wohl. Sechshundert Meter von der nächsten menschlichen Behausung – sie sind die Strecke abgegangen. Er hat es mit einer 9 mm Smith & Wesson gemacht, das war die Waffe seiner Wahl, eine kurzläufige. War mir neu, dass er überhaupt eine Smith & Wesson hat, Handfeuerwaffen hat er sowieso gehasst, paradoxerweise, aber da war sie, in seiner Hand, mitsamt ihrem kurzen Lauf. ›Dürften wir Sie bitten, den Leichnam zu identifizieren, Mrs. Owens?‹ ›Aber gerne doch, Officer, für Sie immer. Dann wollen wir mal.‹ Traf sich gut, dass ich bei der Constabulary war. Mitten durch die rechte Schläfe. Miniloch auf der rechten Seite, und auf der anderen gar kein Gesicht mehr. Ein Prachtexemplar von einer Austrittswunde. Er hat gut getroffen, klar, dafür war er auch Jeb. Ein klasse Schütze, immer schon. Er hat Meisterschaften gewonnen.«
»Brigid, damit holst du ihn nicht zurück«, sagte Harry. »Ich finde, Toby hat eine Tasse Tee verdient, nicht wahr, Toby? Kommt den ganzen weiten Weg hierher für seinen Freund, so was nenne ich Einsatz. Und ein Stück von Dannys Shortbread, das du mit ihm gebacken hast, Brigid.«
»Sie konnten ihn gar nicht schnell genug verbrannt kriegen. Selbstmörder haben Vorrang, Mr. Bell, falls Sie mal in die Verlegenheit kommen.« Sie hatte sich von der Armlehne in den Sessel rutschen lassen und schob verächtlich das Becken vor. »Ich hatte das Vergnügen, seinen Scheißbus ausputzen zu dürfen. Kaum dass sie mit dem Ding durch waren. ›So, Mrs. Owens, jetzt sind wir Ihnen nicht mehr im Weg.‹ Nette, höfliche Leute sind das in Somerset. Sehr zuvorkommend zu einer Dame. Und kollegial. Aus London waren auch welche da. Um ihren Brüdern vom Lande zu zeigen, wo’s langgeht.«
»Brigid hat mich gar nicht gleich angerufen, erst am Abend dann, wissen Sie«, erklärte Harry. »Ich hatte den ganzen Tag Stunden, insofern fand ich das extrem rücksichtsvoll von dir, Brigid. Man kann nun mal fünfzig Kinder nicht zwei Stunden lang ohne
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