Empty Mile
ausgestreckten Arms, der wiederum dem Transporter folgte. Im Schatten der Fahrerkabine, hinter der Flüstertüte, sah ich den Grund für seine Wut. Vivian lenkte den Wagen mit einer Hand, während sie mit der anderen das Mikrofon hielt.
»Das macht sie jetzt schon seit drei Tagen. Und das ist nicht alles. Komm her!«
Er zog mich die Straße entlang zu einem Laternenpfosten. An dem staubigen, grauen Holz klebte ein Flugblatt, auf dem detailliert stand, welche negativen Auswirkungen eine asphaltierte Straße zum See haben würde – von der Zerstörung des Waldes über die Bedrohung für die Tierwelt bis zur Erosion des Seeufers.
Gareth klaubte es von dem Pfosten und riss es in Stücke. »Die hängt sie überall auf. Sogar an die Bäume an der Ringstraße hat sie sie geklebt. Wo ist dein Auto?«
»Um den Block. Warum?«
»Ich muss dir was zeigen.«
»Kein Interesse.«
Gareth sah mich mit toten Augen an. »Hat mit deinem Kumpel Jeremy Tripp zu tun.«
Und so kehrte ich abermals zum Tunney Lake zurück und saß vor einem Fernseher in Gareths Schlafzimmer. In einem anderen Teil des Bungalows hörte ich David mit seinem Rollstuhl herumfahren und vor sich hinmurmeln.
Gareth nahm eine DVD vom Nachttisch und legte sie in den Player ein. »Das hat mir Tripp gestern mit der Post geschickt.«
Er drückte auf die Fernbedienung, der Film wurde abgespielt. Ich erkannte den Schauplatz sofort. Jeremy Tripps Haus – das Schlafzimmer, wo ich die halb nackte Vivian gesehen hatte. Sie war diesmal auch da, aber nicht allein.
Jeremy Tripp hatte sie auf allen vieren vor sich auf dem Bett. Sie war nackt, und er stieß in sie hinein, als würde er Turnübungen machen. Ich sah auf dem Bildschirm, wie das Bett bei jedem Stoß einen Zentimeter vorwärts ruckelte. Vivian schien nichts von der Kamera zu wissen, aber Jeremy Tripp grinste hin und wieder direkt hinein, und als er fertig war, blinzelte er und zeigte den Finger. Als er mit Vivian fertig war, lagen sie eine oder zwei Minuten auf dem Bett, dann stand sie auf und ging ins Bad. Als sie fort war, rollte sich Jeremy Tripp vom Bett, nahm die Kamera aus ihrer Halterung und schwenkte damit zu einer Kommode in der Ecke des Zimmers. Auf ihr lagen mehrere Stapel Papier. Er nahm ein Blatt von einem und hielt es vor die Kamera. Einen Moment verschwamm das Bild, dann wurde es wieder scharf und zeigte ein Flugblatt, wie Gareth es von dem Telefonmast in Back Town abgerissen hatte. Dann wurde der Bildschirm schwarz, die Kamera war abgeschaltet worden.
Gareth sah mich mit offenem Mund und erhobenen Händen an. »Was für ein Scheißpsycho ist der denn? Aber das erklärt ihr plötzliches Interesse für die Straße.«
»Du glaubst, er hat sie darauf gebracht?«
»Natürlich. Herrgott, Johnny. Vivian ist eine dieser Fotzen, die nur nach Gründen suchen, damit sie gegen alle Welt wettern können. Man muss sie nur in die richtige Richtung drehen und anschubsen. Ich habe ihr erzählt, wie dringend wir diese Straße brauchen, und sie war schon damals nicht gerade Feuer und Flamme. Jetzt hat dieses Arschloch sie so sehr beeinflusst, dass sie es für ihre Pflicht hält, die Gemeinde davor zu retten. Das dürfte ein gefundenes Fressen für die verdammten Ökoliberalen im Stadtrat sein.«
»Also, danke, dass du mir das gezeigt hast …« Ich stand auf und wollte gehen, aber Gareth hielt mich fest.
»Johnny, warte einen Moment. Ich will dich etwas fragen. Du hasst diesen Kerl doch auch, oder nicht? Zwei Pflanzenverleihfirmen in einer Stadt? Der hat es auf dich abgesehen. Wenn es ihn nicht gäbe, ginge es uns beiden besser. Vielleicht bekäme ich sogar Vivian zurück. Was würdest du dazu sagen, wenn wir dafür sorgen, dass es ihn nicht mehr gibt?«
»Und wie sollten wir das anstellen?«
Gareth sah mir in die Augen. »Was denkst du denn?«
Der Gedanke war abstoßend, doch gleichzeitig konnte ich den Wunsch nicht unterdrücken, Jeremy Tripp tot zu sehen. Da ich nichts sagte, stand Gareth auf.
»Das schuldest du mir, Johnny. Du wärst heute ein toter Mann, wenn ich die beiden Trottel damals nicht daran gehindert hätte, dich aufzuschlitzen.«
»Das ist zehn Jahre her.«
»Du wärst nicht weniger tot, wenn es gestern gewesen wäre.«
»So viel schulde ich dir nicht.«
Einen Moment sah mich Gareth durchdringend an, dann hob er die Hände und lächelte, als hätte er das Interesse an dem Thema verloren. »He, ich dachte nur, ich spreche es mal an, klar? Ich dachte mir, vielleicht siehst du es ja
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