Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Empty Mile

Empty Mile

Titel: Empty Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Stokoe
Vom Netzwerk:
dieser Zeit, ihr eigenes gerütteltes Maß an Unglück.
     
    Es ist seltsam, jemandem, den man liebt, körperliche Schmerzen zuzufügen, zu sehen, wie man mit den Armen ausholt und rote Striemen auf dem Körper des anderen erzeugte, wie die Muskeln sich verkrampfen und die Wirbelsäule zuckt, wenn der Reflex, zu fliehen, von einer größeren Willenskraft unterdrückt wird, einem dunklen Bedürfnis nach Buße, das sich nicht ignorieren lässt. Genau das musste ich Marla in dieser Nacht zum ersten Mal antun.
    Sie hatte irgendwo in der Stadt einen dünnen Bambusstock gefunden und hinter der Kommode versteckt. Als wir ins Bett gingen, holte sie ihn heraus und bat mich, sie damit zu schlagen. Ich weigerte mich natürlich, aber sie ging in die Küche, kam mit einem Messer zurück und sagte, sie würde sich die Arme aufschlitzen, wenn ich es nicht machte.
    Wie konnte ein solches emotionales Grauen Teil meines Lebens werden? Wie konnte eine Frau eine derart schlechte Meinung von sich haben? Ich wusste seit meiner Rückkehr nach Oakridge, dass sie alles andere als glücklich war. Ich hatte acht Jahre ihres Lebens gestohlen, sie fühlte sich mitverantwortlich am Tod von Patricia Prentice und lebte tagtäglich in der Angst, Gareth könnte sie wieder auf den Strich schicken. Aber sich deswegen auspeitschen zu lassen? Das alles schien mir kein Grund für einen derart übertriebenen Akt der Buße.
    Und doch erfüllte ich ihr den Wunsch. Sie war unerbittlich, sie war verrückt vor Verlangen, felsenfest entschlossen, sich selbst Schmerzen zuzufügen, dass es mir sicherer schien, wenn ich diese Rolle übernahm und nicht zuließ, dass sie sich selbst quälte.
    Erst als es vorbei war und wir nebeneinander im Bett lagen, dämmerte mir, was das mögliche Motiv für ihr Verhalten sein könnte.
    Das Achterbahn-Foto.
    Mein Vater und Marla zusammen in San Diego.
    War da wirklich etwas zwischen den beiden gewesen? War es das, was sie in die Depression trieb, sodass ihr einziger Ausweg die Flucht in den körperlichen Schmerz war?
    Hörte sich an wie ein Szenario aus einer Seifenoper. Aber es schien möglich. Mein Vater war ein gut aussehender Mann gewesen. Auf dem Foto war er Mitte fünfzig, nicht zu alt für ein Techtelmechtel mit einer jungen Frau Ende zwanzig. Und Marla? Hätte sie so etwas tun können? Ich überlegte mir, wenn sie als Hure arbeiten konnte, brachte sie vermutlich alles fertig.
    Ich schaltete das Licht ein und nahm meine Brieftasche vom Nachttisch. Ich holte das Foto von Marla heraus und warf es vor sie auf die Bettdecke.
    »Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Schuldgefühle ein Ende haben.«
    Sie richtete sich auf dem Kissen auf, verzog das Gesicht, als sie den Rücken an die Wand lehnte, und betrachtete das Foto mit einem verwirrten Gesichtsausdruck. Aber ich sah den Anflug von Angst in ihren Augen.
    »Es ist aus einem der Müllsäcke gefallen, als wir das Haus ausgeräumt haben.«
    »Oh. Ja, ich war einmal in San Diego. Habe ich dir das nicht gesagt?«
    »Nein.«
    Ich nahm das zweite Foto aus der Brieftasche, das mit meinem Vater, und zeigte es ihr.
    »Mein Vater hatte auch eines bei seinen Sachen. Genau so ein Foto.«
    Marla setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Ach ja! Das war ein irrer Zufall. Es war … es war …« Sie verstummte, schluckte und versuchte es noch einmal. »Es war …« Sie verzog das Gesicht und fing an zu weinen – ein gewaltiges, zuckendes Schluchzen, das ihre Brust erbeben ließ, als würde es kleine Stücke ihrer Seele herausreißen. Lange Zeit war sie zu nichts anderem imstande, und ich hielt sie und spürte die Konvulsionen ihres Körpers. Irgendwann brachte sie mit gebrochener Stimme Worte heraus.
    »Vor drei Jahren hatten wir eine Affäre. Sie dauerte sechs Monate. Irgendwann in der Mitte fuhren wir ein paar Tage weg, nicht einmal eine Woche. Ray hatte jemanden engagiert, der sich um Stan kümmerte.«
    Marla wischte sich mit den Handrücken die Augen ab. Sie sah mich nicht an.
    »Ich dachte, du würdest nie zurückkommen. Ich hatte so lange gewartet. Jahrelang. Und dann gab ich einfach auf, und mir schien, als wäre es vollkommen egal, was ich machte. Es gab kein Richtig und kein Falsch mehr, nur noch … nichts. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Aber schon damals wusste ich, dass alles beschissen enden würde. Man kann so etwas nicht machen und ungestraft davonkommen. Es ändert nichts, ich weiß, aber wir hatten beide schreckliche Schuldgefühle deswegen. Am Ende redete Ray nur

Weitere Kostenlose Bücher