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Empty Mile

Empty Mile

Titel: Empty Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Stokoe
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entfernt. Hätte ihn der Sicherheitsgurt nicht gehalten, wäre er auf das Lenkrad gesackt. Er trug eine weiße Windjacke, sein linker Arm hing zum Auto hinaus. Die Hand war halb vom Gelenk abgerissen, sein Ärmel und die Fahrertür waren blutüberströmt. Er hatte auch Blut am Kopf, Blut lief ihm aus den Ohren und der Kopfhaut heraus, und auch wenn ich sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste ich, dass Gareth mit der Manipulation der Bremsen ganze Arbeit geleistet hatte.
    Als ich mich dem Auto näherte, verspürte ich einen übermächtigen Ekel angesichts von so viel Blut und Verletzungen, zugleich jedoch ein Gefühl der Erleichterung, das fast einem Glücksgefühl gleichkam. Es war vollbracht. Überlegungen, ob ich es durchziehen sollte oder nicht, ob es richtig war oder falsch, ob ich es mir lieber anders überlegen sollte – das alles existierte nicht mehr. Mir fiel ein, dass es vielleicht noch möglich wäre, ihn wiederzubeleben. Aber ich würde es gar nicht versuchen. Aller übelkeiterregenden Angst zum Trotz, die ich bis zu diesem Augenblick verspürt hatte, war ich heilfroh, dass er tot war.
    Das Auto war mehrere Meter durch den Wald gerast, bevor es gegen den Baum geprallt war, dennoch konnte man es von der Straße aus sehen, wenn jemand im richtigen Moment im richtigen Winkel vorbeifuhr. Bis jetzt hatte ich an diesem Abend noch kein anderes Auto gesehen, aber das würde nicht ewig so bleiben. Ich beschloss, mich querfeldein durch den Wald zu schlagen, bis ich den Waldweg erreichte, wo Gareth parken wollte, wenn er zurückkam. Ich wagte nicht, darüber nachzudenken, was ich machen würde, wenn er bis dahin nicht auftauchte.
    Ich wollte gerade um das Auto herumgehen, als Jeremy Tripp einen Laut von sich gab und das Blut in meinen Adern zu Eis gefror. Das Geräusch aus seiner Kehle klang erstickt und röchelnd, als wollte er verzweifelt Atem holen mit einem Etwas im Hals, das zu dick war, um es zu schlucken. Einen Moment dachte ich, ich müsste schreien, doch dann griff mein Verstand wieder, der wie stets nach logischen Erklärungen suchte, und sagte mir, dass es das Röcheln eines Sterbenden sein musste, dass die Lungen ihren letzten Rest Luft entweichen ließen. Doch ich wusste, dass ich mich irrte, noch bevor er in den Sitz zurücksank, den Kopf drehte und mich ansah.
    Ich weiß nicht, welche Verletzungen er insgesamt haben mochte, aber Jeremy Tripp war gegen den Rahmen der Windschutzscheibe geprallt, das stand fest. Eine klaffende Wunde verlief horizontal über seine Stirn. Und nicht nur eine Fleischwunde. Es sah aus, als wäre der gesamte Schädelknochen zwei Zentimeter nach hinten geschoben worden. Unter dieser Verstümmelung standen Jeremy Tripps Augenbrauen grotesk ab.
    Eines seiner Augen war aufgeplatzt, mit dem anderen sah er mich an, blinzelte und formte den Mund zu einem schiefen Grinsen, während er zu sprechen versuchte.
    »Johnny …«
    Das Wort kam unartikuliert und wie gelallt heraus, doch es war zu verstehen. Er erkannte mich. Da wusste ich, dass er nicht an den Folgen des Unfalls sterben würde. Er würde überleben, den Leuten sagen, dass ich da gewesen war, und ich würde den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen, während Stan verarmt in einer staatlichen Institution landen würde.
    Ich sah ihn mehr als eine Minute lang an, während er mich angrinste und immer wieder meinen Namen wiederholte. Dann legte ich den Rucksack ab und nahm das Rohr heraus.
    Sein Kopf sank wieder nach vorn und kippte auf die rechte Schulter. Ich stieß ihn gegen die Kopfstütze und zog ihn gerade. Als ich sicher war, dass er ihn nicht mehr bewegen konnte, hob ich das Rohr und legte es an die Wunde in seiner Stirn. Es passte hinein wie angegossen. Ich holte mehrmals langsam aus, probehalber. Der Rahmen der Windschutzscheibe war mir im Weg, darum konnte ich das Rohr nur schwer von links schwenken. Ich musste seinen Kopf zu mir drehen und dann ein wenig zur Seite schieben, damit ich richtig ausholen konnte.
    Als ich fertig war, hob ich das Rohr ein letztes Mal und atmete tief durch. Ich wollte ausatmen und gleichzeitig zuschlagen, ihm das Rohr über die Stirn ziehen, doch meine Muskeln führten die Tat nicht aus, die mein Gehirn so verzweifelt hinter sich bringen wollte. Ich stand da wie ein in der Bewegung erstarrter Schlagmann beim Baseball.
    Einen Moment vernahm ich nur das stumme Wüten meines inneren Kampfes. Dann erklang oben auf dem Hügel leise ein anderes Geräusch. Zuerst wusste ich nicht, was es war,

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