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Empty Mile

Empty Mile

Titel: Empty Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Stokoe
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entlang. »Amerikanische Ureinwohner haben Bäume umarmt, um Energie zu tanken, wenn sie erschöpft waren«, sagte ich.
    »Das weiß ich.« Stan lächelte mir zu. »Jeder weiß das.«
     
    Als die Goldgräber anno neunundvierzig in Planwagen das Land durchquert hatten oder in San Francisco von Bord gegangen waren und zu den Flüssen im Landesinneren zogen und ihre ersten Unzen Gold gewaschen hatten, schrieben sie an ihre Familien zu Hause, dass sie »den Elefanten« gesehen hätten.
    Die schräge Bezeichnung passte zu diesen fanatischen Männern, aber sie passte ebenso gut zur Oakridge Elephant Society. Wenn man lachen wollte, wenn man die Irren und Spinner sehen wollte, über die die Leute in den Großstädten Witze rissen, dann war die Society ein guter Anfang dafür. Am Anfang, 1849 , war Oakridge ein Bergarbeiterlager am Ufer des Swallow River gewesen, und diese Gruppe verspäteter Goldsucher konnte das Erbe nicht verleugnen. Sie waren felsenfest davon überzeugt, dass es irgendwo in einem Bach- oder Flussbett noch genügend Goldstaub gab, um einen Mann reich zu machen. In allen Geschichtsbüchern stand, dass die Goldvorkommen in Nordkalifornien schon vor hundertfünfzig Jahren erschöpft waren, doch die Mitglieder der Elephant Society glaubten nicht alles, was sie schwarz auf weiß nach Hause tragen konnten.
    Sie trafen sich allwöchentlich in einem Saal über einer Drogerie in Back Town. Sie hatten alle Familien und gingen einer regelmäßigen Arbeit nach, doch an den Wochenenden nahmen sie ihre Pfannen und Schaufeln und fuhren in die Berge, um Stellen zu suchen, die im Goldrausch übersehen worden waren.
    Manchmal fanden sie Gold, »Farbe« nannten sie es, in dem schwarzen, magnetischen Sand auf dem Boden ihrer Pfannen, aber meistens reichte es nur aus, dass man es reinigen und in einem kleinen Glasfläschchen bei den Versammlungen der Society herumzeigen konnte.
    Auch mein Vater besaß ein Dutzend solcher Fläschchen, die er im Lauf von zwanzig Jahren angesammelt hatte. Sie standen aufgereiht auf einem Regal im Wohnzimmer, ein verlockendes Symbol für den Reichtum Amerikas, ein Reichtum, der um meinen Vater stets einen großen Bogen gemacht hatte. Ich glaube, er trat der Society – zwei Jahre, bevor ich Oakridge verließ – nur bei, um seiner wachsenden Überzeugung entgegenzuwirken, dass sich seine finanzielle Situation wohl niemals bessern würde. In der Society konnte er seinem Traum treu bleiben, weil er von anderen geteilt wurde.
    Das Erholungsgebiet, das die Elephant Society für ihr jährliches Sommerpicknick ausgewählt hatte, lag an einem flachen Uferabschnitt des Flusses, der, wie die meisten Picknickplätze in Oakridge, zur Zeit des Goldrausches eine Schürfstelle gewesen war. Sie lag so weit von der Stadt entfernt, dass sie selten genutzt wurde, daher stand das Gras hoch; gelbe Blumen blühten überall dazwischen.
    Die Society hatte nicht gerade übermäßig viele Mitglieder; mit Frauen und Kindern zusammen hielten sich rund hundertfünfzig Leute auf der Lichtung auf. Die einzelnen Familien blieben meist für sich, winkten einander jedoch zu, sagten Hallo und warfen sich hier und da Bierdosen zu. Alle waren freundlich, aber nicht aufdringlich. Ich verstand, dass ein Mann wie mein Vater, der alles andere als gesellig war, sich hier wohlfühlte.
    Er begrüßte einige der Familien im Vorübergehen; manche standen auf und schüttelten ihm die Hand. Die Herzlichkeit freute ihn offenkundig, und es hatte etwas Rührendes, wie er lachte und sprach, etwas Schüchternes und Zurückhaltendes, als käme er sich wie ein Eindringling dabei vor. Da begriff ich, wie abgrundtief einsam er gewesen sein musste, dieser Mann, der jeden Tag einen Kampf mit sich selbst ausfechten musste, um emotionale Reaktionen zu erzwingen, die die meisten anderen als selbstverständlich voraussetzten.
    Wir breiteten unsere Decke aus, setzten uns, aßen und redeten über vergangene Zeiten. Es konnte viele Gründe haben, warum mein Vater an diesem Tag mit uns hierherkam, doch höchstwahrscheinlich war es das Bedürfnis, die Erinnerung an andere Picknicks, andere Ausflüge heraufzubeschwören, als wir noch eine richtige Familie gewesen waren. Als das Leben uns noch keine üblen Streiche gespielt hatte. Er wollte – wir drei wollten uns bestätigen, dass wir in unserer Vergangenheit tatsächlich einmal ein gemeinsames Glück erlebt hatten. Wenigstens an einem bestimmten Punkt.
    Als wir beim Essen waren, kam Bill Prentice mit einem

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