Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Empty Mile

Empty Mile

Titel: Empty Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Stokoe
Vom Netzwerk:
Stan mich heftig am Arm zog und zum gegenüberliegenden Hang des Tals zeigte, wo ein Schwarzbär zwischen den Bäumen herumtapste. Es war kein besonders großes Tier, maß aber doch etwa anderthalb Meter von den Pfoten bis zur Schulter, hier draußen im Wald allerdings, ohne ein Gitter, das es auf Distanz hielt und niedlich machte, bot es einen außergewöhnlich erschreckenden Anblick.
    Der Bär hatte Bill und das Mädchen gesehen und kam langsam den Hang herab auf sie zu. Einige Sekunden blieben Stan und ich untätig, da wir im ersten Moment nicht wussten, wie wir uns verhalten sollten. Sollten wir eine Warnung rufen und riskieren, dass der Bär angriff? Oder sollten wir stumm bleiben und hoffen, dass er sich wieder in den Wald zurückzog?
    Das Mädchen erlöste uns von unserem Dilemma. Der schwarze Schatten, der sich unter den Bäumen bewegte, musste ihr in den Augenwinkeln aufgefallen sein, denn sie wandte ruckartig den Kopf von Bills Unterleib ab und kreischte wie in einem Horrorfilm. Bill hechtete rückwärts, zog die Hose hoch und sah sich panisch nach den vermeintlichen erbosten Eltern um. Als er Stan und mich entdeckte, blickte er verwirrt drein, als könnte er unsere Anwesenheit und die übertriebene Reaktion des Mädchens nicht in Einklang bringen. Aber derweil war sie schon aufgesprungen und rannte den Pfad entlang. Als sie an mir vorbeistürmte, drehte sie den Kopf und schrie nur ein Wort über die Schulter: »Bär!«
    Da sah Bill das Tier. Er wich in den Schatten eines Baums unmittelbar am Weg zurück, schnappte sich einen abgefallenen Ast und hielt ihn vor sich wie einen belaubten Besen. Der Bär war jetzt noch zehn Meter von ihm entfernt und musste nur einen schmalen Grünstreifen und den Weg selbst überqueren. Ich hob Steine auf, die ich als Wurfgeschosse verwenden konnte. Stan betrachtete den Bären, als wollte er dessen Gewicht ausrechnen.
    Als ich mich wieder aufrichtete, stand der Bär nur wenige Schritte außerhalb der Reichweite des Astes vor Bill. Bills Gesicht war aschfahl, aber mit seiner improvisierten Waffe wirkte er keineswegs schwach. Er hatte nicht aufgegeben.
    Der Bär runzelte die Schnauze und schnupperte, während er den Kopf im Halbkreis bewegte. Er ließ sich auf die Hacken nieder und hielt die Vordertatzen hoch.
    Der erste Stein, den ich warf, traf ihn an der Flanke, der zweite prallte von seiner Schulter ab. Das Tier streckte den Hals und gab ein heiseres Brüllen von sich, dann ließ es sich wieder auf alle viere nieder. Ich sah die Raubtierzähne des Unterkiefers. »Aufhören!«, brüllte Bill mich an. »Du machst ihn nur wütend!«
    »Er sieht schon ziemlich wütend aus.«
    »Wir müssen ihn verscheuchen. Ihm Angst machen. Wir dürfen ihn nicht reizen, sodass er angreift. Nehmt euch Äste. Zu dritt dürften wir zu viel für ihn sein.«
    Stan und ich fanden einige lange Stöcke am Wegesrand. Einen Moment fragte ich mich, ob es wirklich klug war, sich einem wütenden Bären zu nähern, aber Stan zögerte nicht. Kaum hielt er seine Waffe in Händen, rannte er bergab, schrie und kreischte und fuchtelte mit den Armen: hundert Kilo tapferes Herz, weiches Fleisch und pomadig schwarzes Haar. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
    Der Bär drehte sich halb zu uns um, aber Stan ließ sich nicht beirren. Er näherte sich dem Tier bis auf fünf Schritte, peitschte mit dem Stock wild hin und her und brüllte dabei »Fort!«, und »Ha!« und »Geh weg, Bär!« Der Bär, der es jetzt mit Gegnern an zwei Fronten zu tun hatte, schwankte hin und her, wippte auf den enormen Tatzen und verlieh brummend seinem Zorn darüber Ausdruck, dass er sich jetzt in der Unterzahl befand. Als Bill sah, dass die Aufmerksamkeit des Tieres geteilt war, kam er aus dem Schatten, brüllte und fuchtelte so ungestüm wie Stan mit seinem Ast.
    Einen Augenblick dachte ich, der Bär würde sich aus reiner Frustration einen von uns aussuchen und angreifen, doch als er ein- oder zweimal nach dem Laub vor seinem Gesicht gehauen hatte, wirbelte er unvermittelt herum und entfernte sich ein paar Schritte. Einmal blieb er noch stehen und warf uns über die Schulter einen Blick zu, dann schlurfte er unter die Bäume und verschwand hinter der Hügelkuppe.
    Bill ließ den Ast fallen, kam wortlos näher und umarmte uns beide.
    »Mann, was für eine Aufregung.«
    Stan machte ein übertrieben entsetztes Gesicht und sagte sehr ernsthaft: »Ich dachte, es wäre um dich geschehen, Bill.«
    »Ohne euch Jungs mit

Weitere Kostenlose Bücher