Empty Mile
liebte, doch für mich schien es eine einseitige Beziehung zu sein. Sie machte den Eindruck, als wäre sie vernarrt in ihn, wüsste aber genau, dass er nicht der war, den sie brauchte.
Um zu verhindern, dass unser Gespräch wieder auf meine Rolle in Gareths Vergangenheit kam, fragte ich sie nach ihrem Leben. »Was heißt Umweltschützerin? Sind Sie in einer Organisation wie Greenpeace?«
Vivian geriet augenblicklich in Wallung. Ihre Augen glänzten plötzlich, als hätte sie Fieber, und mir wurde klar, dass ich die Frage mit ziemlicher Sicherheit bereuen würde.
»Eine Organisation? Pah! Ich halte nichts von Organisationen. Für mich ist Umweltschutz ein Lebensentwurf. Eine Einstellung. Einer der Aspekte, die meine Persönlichkeit ausmachen.«
»Cool.«
»Ja, es ist sehr cool. Ich habe Deutschland nach der Universität verlassen. Ich habe mir geschworen, dass ich nie wieder zurückkehren würde, und diesen Schwur habe ich gehalten. Du kannst dir nicht vorstellen, wie eng es in Europa ist, mit was für einem atemberaubenden Tempo die sogenannten Kulturnationen sich selbst zubetonieren.«
»Ich habe lange in London gelebt.«
»Oh, was für ein Schweinestall. Dann weißt du ja, was ich meine. Ich habe meinen Exmann in San Francisco kennengelernt, wo wir lange Zeit gelebt haben. Man kann nicht in dieser Stadt leben, ohne ein Interesse für die Umwelt zu entwickeln. Jedenfalls nicht als Europäerin. Der Hafen, der Nebel, die Berge, die Küste. So viel Schönheit, so groß und wild. Aber was bekam ich zu sehen? Dieselbe Zerstörung, die ich in Europa mitansehen musste. Und daher schwor ich mir, dass ich nicht tatenlos zusehen würde, so wie alle anderen. Und darum nenne ich mich Umweltschützerin. Weil ich Umweltfragen gegenüber nicht blind bin.«
»Arbeitest du in der Gemeinde oder so?«
»Habe ich.« Sie machte eine wegwerfende Geste. »Aber das war in einem anderen Leben. Nach der Scheidung von meinem Mann bin ich hierhergezogen. In Oakridge muss man gegen deutlich weniger kämpfen. Ich kämpfe jetzt in kleinerem Maßstab, mit meinem Konsumverhalten, mit meinen Briefen an den Stadtrat.«
»Du magst den Stadtrat nicht?«
»Sie sind nicht alle schlecht, von einigen Dingen lassen sie sich überzeugen – die Altglascontainer, die man überall in der Stadt sieht, gehen auf mein Betreiben zurück. Aber ansonsten sind sie wie jedes andere kommerzielle Unternehmen auch. Sie glauben, wenn man überleben will, muss man immer größer werden, man muss expandieren und immer weiter expandieren. Die kommen gar nicht darauf, dass sie ihre Energie darauf konzentrieren sollten, einen vernünftigen Status quo herbeizuführen.«
Gareth, dem während Vivians flammender Rede etwas mulmig geworden zu sein schien, streckte sich und fragte in die Runde, wie spät es sei.
Vivian sah ihn missbilligend an. »Ich glaube, Gareth sieht die Schönheit der Welt gar nicht. Er würde den Stadtrat zum Beispiel unterstützen, wenn der eine Straße zu seinem Motel bauen ließe.«
»Natürlich. Herrgott …«
»Geld, pah! Dieser See ist ein Juwel. Er muss bewahrt werden. Zuerst eine Straße, dann tausend Leute täglich, dann Würstchenbuden und überall verdammte Coca-Cola-Logos. Warum nicht noch ein Starbucks? Nein, eine Straße wäre das Ende für den See.«
Sie stand unvermittelt auf und hielt Gareth die Hand hin.
»Es wird Zeit, dass du mich zu Bett bringst. Ich habe es satt, immer nur über mich zu reden. Gute Nacht, Johnny. Bitte schließ ab, wenn du rausgehst.«
Gareth blinzelte mir zu. »Ich ruf dich an, Alter. Danke, dass du mir heute Abend aus der Patsche geholfen hast.«
Als Gareth und Vivian nach oben gegangen waren, blieb ich noch einen Moment sitzen, ließ den großen Raum auf mich einwirken und lauschte der Stille und dem gedämpften Gelächter, das durch das Holz aus Vivians Schlafzimmer drang. Dann stand ich auf und ging hinaus zu meinem Pick-up.
Draußen war es kalt. Auf der Heimfahrt fühlte ich mich einsam und allein. Es schien, als hätte heute Nacht jeder einen tröstlichen warmen Körper neben sich, auch wenn es ein Geschäft war, wie bei Gareths Hure und ihrem Freier, oder ein so ungleiches Paar wie Gareth und Vivian. Ich machte mir am Regler der Heizung zu schaffen, aber sie funktionierte nicht, daher knöpfte ich die Jacke zu und fuhr schneller, als ratsam war, nach Hause zurück.
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Kapitel Acht
Ich traf Marla am Samstag darauf. Es war ein heißer Tag, sie hatte angerufen und vorgeschlagen, dass
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