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Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
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Gefährtinnen unter den Weiden.
    No wartete noch. Von der Höhe seines Felsens sah er
sie in der Richtung ihrer Wohnstätten vorbeiziehen. Er fand,
daß diese Töchter von Fischern anmutig dahinschritten.
    Da nahm auch er seine Jagdbeute auf die Schulter und machte
sich auf den Heimweg, der noch recht lang war. Erst nachts kam er zu
Hause an. Und er empfand, wie traurig es sei, wenn man müde
von schwerer Arbeit heimkehrt und keine Frau einen empfängt.
Keine Frau, die das Essen vorbereitet hat, die dem Manne die
Knöchel einreibt und dabei all die hundert Neuigkeiten
berichtet, die am Tage von Mund zu Mund gingen. Und während
man sich das heiße Fleisch und die in köstlichem Fett
zubereiteten Gemüse schmecken läßt,
erzählt man von den Zwischenfällen der Jagd. Sie
zittert beim Bericht über die Gefahren, die zu
überstehen waren, und jubelt über die List, die die
Beute schließlich doch erringen ließ. –
    Nachts wandert der Geist Nos von neuem zu den Ufern des
Flusses zurück. Eine einzige der Badenden erwartet ihn.
Diesmal ist's Mah selbst. Sie winkt ihrem Bruder von weitem zu. Er eilt
hin, sie in die Arme zu schließen, doch sie zerfließt
wie ein Schatten ...
    Morgens erwachte No mit einem Entschluß. Er
würde das Mädchen, das er am Vortage sah, rauben und
es zu seinem Weibe machen.
    Die schöne Jahreszeit begünstigte seine
Absichten. Er richtete sich unweit des Flusses im Walde ein Lager ein.
Des Nachts entzündete er ein Feuer, um sich gegen die Tiere zu
schützen. Auf ihm kochte er seine Nahrung. Eine Kette aus
Muscheln und ein Zobelfell, die er mitgenommen hatte, sollten ihm
helfen, das Mädchen zu gewinnen, denn Gewalt anzuwenden war
fast unmöglich. Und jetzt erwartete er eine günstige
Gelegenheit.

Des Morgens sah er die Mädchen wieder. Sie badeten
etwas entfernt von ihm, aber er hatte trotzdem keine Mühe,
jene zu erkennen, die er gewählt hatte.
Größer war sie als ihre Freundinnen, ihr Haar hatte
die Farbe des aufgehenden Mondes, ihre Gestalt glich dem Schilfrohr am
Rande eines Flusses, wie Speere waren ihre Beine, weich wie Algen, die
in der Strömung schwanken, ihre Füße.
    No erzitterte bei dem Gedanken, sie sein nennen zu
dürfen, und sein Herz pochte erregt. Niemals wurde ein Wild
aus geringerer Entfernung belauert, mit einer Aufmerksamkeit, die
entschlossener gewesen wäre, den geringsten günstigen
Umstand wahrzunehmen. Doch er sah sie stets von ihren
Gefährtinnen umgeben, im Bade wie auch auf dem Wege. Es
wäre Wahnsinn gewesen, sich ihr zu nähern, wenn sie
nicht allein war. Ihre spöttischen Freundinnen würden
ihn nicht zu Worte kommen lassen. Er mußte abwarten, bis ein
Zufall sie von den anderen entfernte, dann würde er sofort auf
sie zugehen und sie zu überreden trachten. Wenn dies nicht
gelang, dann vielleicht konnte ein Gewaltstreich gewagt werden ...
    Tag um Tag blieb er hier, an den Fels geschmiegt, dessen
Färbung er schon langsam angenommen hatte. Nachts entfernte er
sich, um nachzusehen, ob sich kein Wild in den ausgelegten Fallen
gefangen hätte. Und morgens war er wieder an seinem
Beobachtungsposten. Geduld war ihm angeboren. Ist nicht langes Warten
unerläßlich, um ein ziehendes Wild auf seinem Wechsel
zu überraschen? Und welch köstlichere Beute als diese
hatte er jemals belauert?
    Endlich kam der ersehnte Tag. Als die Sonne schon tief am
Himmel stand, sah No sie, die er erwartete, mit zwei anderen
Mädchen aus dem Lager kommen und den Fluß entlang
schreiten. Sie gingen nicht dem Bade zu, sondern schlenderten nur,
Beeren pflückend, an den Büschen am Fuße des
Felsenhanges entlang. So kamen sie dem Felsen, auf dem No lag, immer
näher. Nicht weit von ihm floß in einer Niederung ein
kleiner Bach, dessen Ufer von Bäumen bewachsen waren. Wie vor
einigen Monaten, als er vor dem Bau des Zobels gekauert hatte, blieb er
unbeweglich an den Boden gepreßt.
    Brombeeren und andere Beeren pflückend, trat das
Mädchen allein unter die Bäume. Ihre Freundinnen
riefen vom Flusse her: »Komm zurück, es ist Zeit,
heimzugehen!«
    »Ich komme euch gleich nach«, antwortete
eine klare Stimme.
    »Verweile nicht«, riefen die anderen noch
und entfernten sich.
    Jetzt war für No der Augenblick zum Handeln gekommen.
Geräuschlos ließ er sich vom Felsen heruntergleiten
und machte eilends einen Bogen durch die Büsche, um zwischen
das Mädchen und den Pfad zu gelangen, den sie zum Heimweg
benutzen mußte.

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