Ende einer Welt
in ihnen.
Dieses Mädchen war stolz. Das Gelenk, das sein harter Griff
umspannt hielt, zitterte nicht. Unter der kühlen Haut
spürte er den gleichmäßigen Pulsschlag.
Selbst jetzt, in größter Gefahr, entzückte
ihn die Berührung ihres Körpers.
Schon waren die Stimmen ganz nahe. Es mußten Fischer
sein, die vom Hechtfang heimgingen.
Das Gelenk Maras zuckte zwischen Nos Fingern. Ein Leuchten
erschien in der Tiefe ihrer Pupillen. Ihre Lippen öffneten
sich, als wenn sie sogleich sprechen wollte ... No faßte den
Griff der Hacke in seiner rechten Hand fester. Seine Kinnladen
preßten sich aufeinander, sein auf das Mädchen
gerichteter Blick wurde hart ... Das währte einen Atemzug
lang, dann senkten sich Maras Wimpern langsam, als wenn sie
entschlummern würde.
Als sie die Augen wieder öffnete, entfernte sich das
Geräusch der Schritte und verstummte dann völlig. Und
Schweigen lag auch zwischen den beiden. Der Abend sank. Nos Blick
tauchte immer noch in Maras Augen, die aufrecht vor ihm stand. Auf
diesem Wege drang er zuerst in ihre Seele und nahm von seinem
zukünftigen Weib Besitz. Er wußte es, der Kampf
zwischen ihm und ihr war beendet. Sein Griff löste sich. Die
Spuren seiner harten Faust waren deutlich auf ihrem Handgelenk zu sehen.
»Gehen wir«, sagte er.
Ohne seinen Blick nach rückwärts zu wenden,
schritt er dem Gipfel des Hügels zu.
Mara folgte ihm.
Rahi, der alte Häuptling, kam aus seiner
Hütte nicht mehr heraus.
Er sah niemanden. Selbst die Weisen, die seine Unbeliebtheit
zu teilen fürchteten, kamen immer seltener, die
Angelegenheiten des Stammes mit ihm zu beraten. Die Wogen der
allgemeinen Unzufriedenheit stiegen bis zu seiner hohen Terrasse.
Nahe dem Tode grübelte er über sein langes
Leben. Die Gewohnheit, zu herrschen, der Verkehr mit der Welt der
Geister und der der Menschen hatten ihm den Geschmack am
Grübeln gegeben. Das Amt, das er bekleidete, ließ ihm
genug Muße dazu, denn das Volk der Jäger
ernährte seinen Führer.
Friedlich war dieses Volk, arbeitsam und gewandt. Nach allem,
was Rahi zu Ohren gekommen war, gab es kein anderes Volk, das eine
ähnliche Vollkommenheit in allen Arten von Erfindungen, die
das Leben zu erleichtern imstande waren, erreicht hatte. War es nicht
einer seines Stammes, der das wertvollste aller Werkzeuge erdacht
hatte: die Nadel? Ohne Nadel, mit der man seine Kleidung
nähte, blieb der Mensch im Zustande der Barbarei. Und fast
allerorts auf der Erdoberfläche waren die Menschen noch
Barbaren. »Alle Völker, die sich zu kleiden
verstehen, ahmen uns darin nach«, sagte Rahi. »Wenn
nicht die so alte Erde, die – ich neige dazu, es zu glauben
– schon zu lange gelebt hat, verschwindet, wird die Zeit
kommen, da alle Menschen die Nadel verwenden und von uns sprechen
werden.« Waren die Söhne des Bären nicht
auch in der Kunst, Waffen und Werkzeuge herzustellen, allen anderen
voraus? Und nicht auch im Finden der schärfsten Kieselsteine,
der mörderischsten Harpunen, der spitzigsten Speerenden und
Pfeile? Und Wohnstätten hatten sie gewählt, die ihnen
sicheren Schutz gegen wilde Tiere, gegen Kälte, Schnee und
Regen boten. Voll Schauder dachte Rahi an die vielen anderen
Völker, die im Freien noch allen Unbilden der Witterung
ausgesetzt waren. Deren Leben war wirklich kaum besser als das wilder
Tiere.
Dieser Greis, der am Ende seiner Tage stand, erkannte, was er
alles seinen Vorfahren verdankte. Er war der Erbe all der Weisheit, die
sie erworben hatten. Lieferten nicht die Wände der heiligen
Grotten, die Mauern der Wohnstätten selbst den
unumstößlichen Beweis, daß dieses Volk,
dessen Oberhaupt er war, schon seit Generationen ein sicheres Mittel
gefunden hatte, sich die Welt durch Zaubermacht zu unterwerfen? Wer
mochten wohl die ersten Weisen gewesen sein, die es begriffen,
daß auch Tiere, Bäume, Pflanzen ebenso von Geistern
bewohnt und gelenkt werden, wie der Mensch selbst? In ihren Spuren
gelangte Rahi in schwerer Gedankenarbeit dahin, die Welt als eine
weite, allumfassende Einheit zu sehen, in der alles vom Willen der
Geister beseelt wird. So schloß sich der geheimnisvolle Kreis
... Rahi unterbrach in andachtsvollem Schauer seine Betrachtungen, die
ihn – so fühlte er – fast an jene Grenze
geführt hatten, die zu überschreiten dem Menschen
verwehrt ist.
Die Nacht war milde, doch ihn fröstelte. Seine
sorgenvollen Gedanken, die sich auf die schwere Gegenwart
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