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Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
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Und als sie hinter einem großen Stein
hervorkam, um sich dem schmalen Pfad zuzuwenden, stand er ihr
plötzlich gegenüber.
    Ihre erste Regung war, zu fliehen. Aber sofort ließ
sie eine Überlegung, die rascher als ein Blitzstrahl ihr
Bewußtsein durchfuhr, das Aussichtslose eines solchen
Beginnens erkennen. Einem Manne vom Stamme des Bären entkommt
man nicht! Und andererseits lieferte sie sich ihm auf Gnade und Ungnade
aus, sobald sie nur zeigte, daß sie Furcht vor ihm habe.
Überdies wußte sie ja noch gar nicht, was seine
Absicht war. Vielleicht ruhte er nur einfach auf seinem Jagdwege aus.
Er war jung und sah nicht übel aus ... Es galt, schlau zu
sein, abzuwarten und seinen Vorteil wahrzunehmen ... Ist es denn so
schwer, die Männer zu täuschen?
    Die Arme voll Beerenranken, stand sie unbeweglich, fast
lächelnd, vor diesem Unbekannten, der vor ihr aufgetaucht war.
Mit sicherem Instinkt kam sie ihm mit ihrem Angriff zuvor.
»Was tust du hier? – Das ist nicht euer
Gebiet!«
    Nach einem sehr alten Übereinkommen gehörte
das rechte Flußufer mit seinen wenigen und
mittelmäßigen Unterschlupfen dem Stamme, der die
andere Seite des Flusses bewohnte.
    »Ich kam deinetwegen!«
    »Meinetwegen?« Sie war erstaunt ...
»Du kennst mich ja gar nicht ...«
    »Ich habe dich schon vor langer Zeit
gesehen«, gab No zurück. »Hier oben lag ich
versteckt. Du gefällst mir. Ich will dich mitnehmen, du sollst
mein Weib sein.«
    Auf den schönen vollen Lippen des Mädchens
zeigte sich ein leises Lächeln, doch sie besann sich anders.
    No holte das Zobelfell aus seinem Wams und hielt es ihr hin.
    »Das habe ich dir gebracht.«
    Das Mädchen stand unbeweglich vor ihm.
    Da zog No auch noch die Halskette hervor. Sie nahm die Kette,
besah sie, ließ spielend die Perlmuttermuscheln durch ihre
Finger gleiten und gab sie dann No, ohne ein Wort zu sagen,
zurück. Ein Schweigen. Mit großem Ernst
prüften sie einander. No sah sich schon, wie er sie in die
Tiefe der Wälder entführte. Sie fragte sich, wie
diese Begegnung wohl enden würde. Was tun, um diesen Mann zu
täuschen? Durch welche List ihm entschlüpfen? War sie
nur einmal in Sicherheit, wie würde sie sich dann
über ihn lustig machen! Sich für die Angst
rächen, die sie ausgestanden hatte, die sie jetzt noch empfand!
    »Ich heiße No,« sagte er
plötzlich, »und unter den Söhnen des
'Bären' bin ich der rascheste auf hundertfünfzig
Schritte. Ich wurde in diesem Jahre eingeweiht. – Und du, wie
nennt man dich?«
    »Mein Name ist Mara.«
»Mah-ra«, wiederholte No sinnend. »Mara! So
mußte es wohl sein, da meine Schwester Mah hieß
...«
    Und in seine Erinnerungen verloren, verstummte er... Dann
betrachtete er sie sanft.
    Sie fühlte plötzlich, daß er ihr
kein Fremder mehr sei, ja, daß vielleicht, wenn er es wollte
... Aber sofort unterdrückte sie diese Gefühle. Der
Instinkt der Abwehr gewann in ihr die Oberhand, und als No sich ihr
jetzt näherte und die Hand erhob, wich sie mit behendem Sprung
zur Seite.
    »Rühr mich nicht an!«
    »Komm mit mir«, drängte No.
    »Ich kenne dich nicht. Vielleicht –
– später ... Begleite mich bis zu unseren
Hütten.«
    Jetzt gab sie ihm sein sanftes Lächeln mit Lippen und
Augen zurück. Schon war No, alle Vorsicht außer acht
lassend, im Begriffe, ihr zu folgen. Da erinnerte er sich der Warnung
des Weisen vor dem Trug der Frauen, und er sagte:
    »Du weißt sehr gut, daß ich zu euch
nicht kommen darf.«
    »Wenn du unser Mahl teilst, wird man dir nichts
Böses tun.«
    In diesem Augenblicke vernahm Nos geschärftes Ohr das
Geräusch herannahender Schritte. Es gab keinen Zweifel,
Männer betraten den Pfad längs des Flusses. Beim
ersten Ruf Maras mußten sie hier sein.
    Schon funkelten auch die Augen des Mädchens bei dem
Gedanken an ihre nahe Rache. Brutal packte er sie beim Handgelenk, und
indes er ihr eine steinerne Hacke wies, die er in der Hand hielt, sagte
er mit gedämpfter Stimme: »Beim leisesten Laut
mußt du sterben!«
    Der Ton der Stimme und das Blitzen seiner Augen
erfüllten Mara mit Schrecken.
    »Aber auch du wirst sterben«, murmelte sie.
    Mit Freude bemerkte er, daß sie leise sprach.
    »... Wissen deine Leute denn überhaupt, was
Laufen heißt?« Verächtlich verzog sich sein
Mund.
    Die Schritte kamen immer näher. Nos starker Blick
ließ die Augen Maras nicht los; sie waren braun und
samtschillernd wie das Fell einer Otter. Keine Furcht las er

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