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Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
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sich dieser
Richtung zu. Schweigend durchschritten sie dieses Tal, dessen
öde Traurigkeit auf ihr Gemüt drückte, und
sie glaubten, in eine für sich abgeschlossene Welt gelangt zu
sein, die noch niemals der Fuß eines lebenden Wesens betreten
hätte. Nicht eine einzige Tierspur war auf dem weichen Sande,
der unter den Schritten nachgab, zu erkennen. Nach einem langen Marsch
erreichten sie die ersten Ausläufer des Höhenzuges,
der den Weg gegen Osten versperrte. Im Schutze eines Felsens
aßen sie ein wenig geräuchertes Fleisch. Sie
beschlossen, die Nacht im Freien zu verbringen. Da es kalt war, gingen
sie daran, trockene Flechten und kleine Zweige eines niedrigen
Gebüsches zu sammeln. Dies waren die einzigen Pflanzen, die in
dieser Einöde gediehen.
    Plötzlich bückte sich No, der sich von
seinen Gefährten ein wenig entfernt hatte,
überrascht. Gerade vor seinen Füßen war an
einer Stelle, wo der Sand ein wenig fester war, vollkommen deutlich und
klar ein Abdruck zu erkennen, der noch frisch sein mußte, da
weder Regen noch Wind ihn ausgelöscht hatten. Es war der
Abdruck des großen Höhlenbären. Unverkennbar
waren seine Krallen im Boden eingegraben, ganz gleich dem Zeichen, das
No bei der Einweihung gesehen hatte.
    Er blieb mit klopfendem Herzen stehen. Die Gewißheit,
demjenigen so nahe zu sein, an dessen Auffindung sie fast schon
gezweifelt hatten, die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung mit den
Kräften, die in dem großen Ahnen schlummerten: all
dies erschien vor Nos Denken mit einer Kraft, die ihn schwanken
ließ.
    Sobald er seine Beherrschung zurückgewonnen hatte,
winkte er seine Gefährten herbei. Im Augenblick waren sie bei
ihm. No hatte sich nicht getäuscht.
    Vorsichtig folgten sie den Spuren. Stellenweise verloren sie
sich im feinen Sande und fanden sich erst auf fester Erde wieder. Sie
führten zu einer engen, aber nicht allzu tiefen Schlucht.
Behutsam schlichen die Jäger weiter und verständigten
sich nur durch Zeichen. Der Weg wurde immer schwieriger.
Steingeröll kreuzte die Fährte, die Schlucht verengte
sich. Manchmal war es notwendig, einem Felsenband zu folgen, das nur
ein einzelner Mann überschreiten konnte. Ohne Lärm
vorwärtsdringend, befand sich der älteste der kleinen
Schar auf eine Entfernung von fünfzig Schritten
gegenüber einer Höhle, die sich in einem Felsabhang
öffnete. Er blieb stehen und prüfte die Spuren. Es
war sicher, daß das Tier dort vor wenig Zeit eingetreten sein
mußte und sich noch nicht entfernt hatte. Man konnte nicht
zweifeln, daß diese Höhle sein gewohnter
Schlupfwinkel war: zahlreiche Gebeine bedeckten die
Eintrittsfährten, die nur hierher führten.
    Die Männer zogen sich eilig zurück, um Rat
zu halten. Man beschloß, daß einer von ihnen
hierbleiben solle, um aus der Entfernung das Gehen und Kommen des
Bären zu beobachten. Die zwei anderen sollten eiligst zum
Lager zurückkehren und schon am nächsten Tage mit den
Verstärkungen wiederkommen.
    No erbot sich, die Nacht über in der Nähe
der Höhle den Bären zu bewachen. Zur
Dämmerzeit schon war er allein. Er benutzte noch den letzten
Schimmer des weichenden Tages, um einen sicheren Platz für die
Nachtwache ausfindig zu machen. Ein wenig vor dem Eingang der
Höhle ragte ein steiler Felsen ungefähr
zwölf Fuß hoch empor. Auf ihn konnte man nur
gelangen, wenn man einen sehr weiten Umweg machte. Es war
nötig, zuerst aus der Felsschlucht hinauszugehen und den Fels
von der entgegengesetzten Seite zu erklimmen. Obwohl der Ort Wind und
Regen ausgesetzt war, richtete No sich dort ein.
    Es war bewölkt, feucht und kalt. No litt darunter,
denn er durfte kein Feuer machen. Ausgestreckt lag er in seinem
Pelzsacke, doch die Erregung seiner Gedanken verscheuchte den Schlaf.
Ohne Unterlaß kamen sie immer wieder auf denselben Gegenstand
zurück. Der morgige Tag würde ja nicht vorbeigehen,
ohne ihn Aug in Aug mit dem Ahnen seines Stammes zu finden. Was sollte
er tun, damit der Bär nicht zu entschlüpfen
vermochte? Im äußersten Notfalle mußte er
ihn wohl verwunden, aber es war nicht erlaubt, weder einem einzelnen
Manne noch einer Gruppe von Jägern, ihn tödlich zu
verletzen. Dies wäre ein Verbrechen, das die Leute vom
Fluß furchtbar ahnden würden. Lebend mußte
der Bär zu dem Opfer geführt werden, dem der
versammelte Stamm beiwohnen sollte, um so in seiner Gesamtheit die
Verantwortung für den notwendigen Mord zu

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