Ende einer Welt
tragen.
Wenn aber der Bär die Kette der Treiber durchbrach
und, seine Söhne im bittersten Elend zurücklassend,
entfloh?...
In der Einsamkeit der Nacht verwirren sich die Gedanken Nos
wie im Fieber. Bilder furchtbarer Ereignisse erstehen in seinem Geiste,
er erlebt das Ende seines Stammes, er sieht die Seinen, die von
heulenden Hunden zu Tode gehetzt werden... Um die Erscheinungen zu
verscheuchen, die böse Geister ihm erstehen lassen, erhebt er
sich, um auf- und abzuwandern. Rings um ihn liegt jetzt eisiger Nebel,
den seine Augen nicht durchdringen können. Er ist von
Phantomen umgeben, die sich langsam bewegen... Hätte er doch
einen seiner Freunde bei sich behalten! Doch er ist allein in diesem
gefährlichen Augenblick.
Ruhelos murmelt er die Formeln vor sich hin, die ihn die
Weisen zur Abwehr des Ansturmes böser Mächte gelehrt
hatten... Oft hält er ein. Seine Augen bemühen sich,
das Dunkel ringsum zu durchdringen. Wird der Bär aus seiner
Höhle herausgehen? Und wenn No ihn auch nicht sehen kann,
würde er wenigstens sein mächtiges Schnauben
hören? Vielleicht hat das Tier die Anwesenheit eines Feindes
gewittert und wird auf einem Umweg auf die Plattform gelangen, wo No
sich ängstigt. Er wendet sich und macht einen Satz... Wer
kommt da?... Nichts als die Nacht hat er vor sich.
Erst gegen Morgengrauen nach einer Nacht, in der sein Geist
nicht für einen Augenblick zur Ruhe gekommen war, sinkt er
erschöpft in seinen Schlafsack. Er schläft ein und
findet sich in ein Land versetzt, in dem warmes und klares Licht
herrscht. Das Klima ist hier viel milder als das der Gegend, wo er
geboren wurde. Die Hütten sind im Freien errichtet, die
Felshöhlen sind verlassen. Die Männer –
seltsame Tatsache! – haben ihren Frieden mit gewissen Tieren
geschlossen. No sieht rings um sie Tiere, die sie aufziehen, und von
denen sie leben, ohne gezwungen zu sein, sie um den Preis von tausend
Entbehrungen und Gefahren zu verfolgen. Die Hunde verteidigen diese
kostbare Habe gegen die Angriffe der Raubtiere und lassen nicht zu,
daß man an sie rühre. Ein Weiser tritt zu No heran
und unterweist ihn mit wenig Worten in der magischen Kunst, durch die
es dem Menschen gelingt, die Tiere, die neben ihm leben sollen, zu
zähmen – dies ist der gleiche Ausdruck, dessen sich
die Rundköpfe bedienen. Leise murmelt er ihm die Zauberformel
ins Ohr. No wiederholt sie und schwört sich, sie nicht zu
vergessen, um sie nach seiner Heimkehr seinem Stamme mitzuteilen. Die
Stimme des Weisen schwillt und schwillt ... sie grollt jetzt wie der
Donner ... und plötzlich findet sich No aus diesem lichten
Lande mit der Schnelligkeit eines Blitzes auf den harten Stein
zurückgeschleudert... Er öffnet die Augen. Ein fahler
Morgen hüllt sich in eisige Nebel. Noch immer tönt
die Stimme des Weisen. Ganz in der Nähe hallt sie von einer
Wand der Schlucht zur anderen. Sie ähnelt dem Brüllen
eines Raubtieres. – Ah, es ist keine Täuschung
möglich, die Stimme, die durch den kalten Morgen
dröhnt, ist die des Bären! Nur sie kann die Erde bis
zu dem Felsen erzittern machen, auf dem No, entsetzt,
plötzlich aufspringt.
Er kann sich kaum auf den Beinen halten, doch eine Neugier,
stärker als seine Furcht, drängt ihn
vorwärts. Er schleppt sich mehr, als er geht. Jetzt, ein
Schweigen. Nebelschwaden ziehen um die Flanken des Felsenhanges.
Eine von ihnen umhüllt No, als wollte sie ihn
entführen. Alles verschleiert sich und wird undeutlich. Er
beugt sich herab und trachtet, den Höhleneingang zu erblicken.
Da sieht er sich einem riesenhaften Kopf gegenüber,
dessen Züge der Nebel grausig verzerrt. Er ist es: der
Bär! Er reckt sich der Länge nach am Felsen empor, an
dessen Gipfel er fast angelangt ist. No könnte ihn
berühren... Der Nebel zerstreut sich ein wenig, und No findet
sich Aug in Äuge mit dem Bären, der ihn mit ernstem
Blick betrachtet. Kaum eine Armlänge trennt sie voneinander.
No fühlt den heißen Atem des Tieres in seinem
Gesicht. Ein angeborenes Gefühl des Vertrauens
bemächtigt sich seiner. Er findet den Ahnen wieder, in dessen
Nähe er vor kurzem in den Tagen der Einweihung versetzt worden
war. Lange betrachtet er ihn voll Ehrfurcht.
Doch der ewig hungrige Bär, der eine Beute vor sich
sieht, gerät in Zorn. Er brüllt, versucht sich
längs der glatten Wand emporzuziehen, er bemüht sich,
an ihr Halt für seine Tatzen zu finden. Dreimal fällt
er auf die
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