Ende einer Welt
Nachkommen desjenigen, der in der heiligen Grotte die
Spuren seiner mächtigen Tatzen als Zeichen der
Verbrüderung mit seinem Volke hinterlassen hatte.
Er war ein König unter den Tieren. Weder der
Löwe, noch das Rhinozeros, selbst nicht das Mammut wagte ihn
anzugreifen, denn er verband furchtbare Kraft mit List. Wenn er sich
auf seine Hintertatzen stellte, überragte er mindestens vier
Fuß die größten Männer, und seine
Umarmung war tödlich.
Doch seit Jahren hatte ihn niemand mehr erblickt. In welches
Versteck hatte er sich, unzufrieden mit den Angehörigen des
Stammes, zurückgezogen?
Der Häuptling ließ No zu sich kommen. Er
erinnerte sich des Schülers, mit dem er die gleiche
Hütte bewohnt hatte. Er teilte ihn einer der beiden Gruppen
zu, die den Bären suchen sollten. Die eine zog mit Bewilligung
des Nachbarstammes in die südlichen Lande des gegen Mittag
strömenden Flusses. Die andere, mit ihr No, sollte zwei
Tagemärsche weit die Gegend stromaufwärts
auskundschaften; sie sollte seinem Laufe und dem seiner
Nebenflüsse folgen.
Sobald sie das gesuchte Tier aufgespürt
hätten, sollten die Jäger unverzüglich zum
Stamme zurückkehren, um Verstärkung mit sich zu
nehmen, da es für die Wiedervereinigung wesentlich war,
daß der Bär der Urzeit lebend zum Opfer
geführt werde. Diese Aufgabe übernahm No mit Freude.
Viel von seinem Glauben und gerade das Heiligste war ihm
plötzlich zerstört worden. Er hatte
aufgehört, Tiere in Naturtreue an die Wände der
Wohnstätten zu malen. Solche Zauber hatten die Renntiere nicht
an der Flucht gehindert, und die Tiere, welche geblieben waren,
gehörten den Hunden der Rundköpfe. Wozu sollte er da
noch zeichnen, ritzen und malen? Denn er verstand nicht, daß
er auf diese Weise eine Beschäftigung aufgab, die ihn durch
sich selbst befriedigt hatte. Er besaß die Gabe, lebendige
Formen zu schaffen. Und diese Gabe nutzte er nicht aus. Denn wie
hätte er daran denken können, ein Bild nur zur Freude
seiner Augen zu schneiden? Er hatte in einer Bewegung sehr
begreiflichen Zornes die Arbeit verworfen, die ihm höchste
Freude gewesen war.
Und zu gleicher Zeit war ihm, weil die Fremden mit ihren
Hunden das Land beherrschten, die Jagd versagt, die
unerschöpfliche Quelle männlicher Freuden und
begehrter Gefahren. So jung er war, lebte er in der sonst nur Greisen
eigenen Untätigkeit. Und gerade da rief ihn ein Wort des
Häuptlings zu edlem Wirken auf. Er sollte an einem
kühnen Streifzug teilnehmen, der den Zweck hatte, den Stamm
vor dem Zusammenbruch zu retten. –
Bei Sonnenaufgang des nächsten Tages traf er mit
seinen Gefährten in der Hütte des Häuptlings
zusammen. Unter so bedeutsamen Umständen hatten die Weisen die
vorgeschriebenen Beschwörungsformeln über sie zu
sprechen, damit wohlgesinnte Geister sie bei ihrem kühnen
Unternehmen begleiteten. Mit No zogen zwei der besten Jäger
des Stammes, die die dreißig schon überschritten
hatten, Männer mit Erfahrung, klug und listig. Sobald die
Zeremonie beendet war, eilten sie geradeswegs gegen Norden. Sie
ließen sich durch die Windungen des Flusses nicht aufhalten,
da dieses Gebiet viel zu stark bevölkert war, als daß
der gesuchte Bär sich hier hätte verbergen
können.
Seit der Mitte des Tages erforschten sie die Täler,
die einstmals, als die Leute des Flusses noch zahlreich wie die Sterne
des Himmels gewesen waren, Wohnstätten geboten hatten. Die
Nacht verbrachten sie auf einer verlassenen Terrasse, wo sie ein Feuer
entzündeten. Am folgenden Tage durchwanderten sie flaches
Land, immer weiter gegen Nordost vordringend. Ermüdet von dem
schnellen Marsch, kamen sie am späten Nachmittag an einen
öden Ort hinter einem Hügelkamm, der das Tal
abschloß. Der Anblick des Landes war fremdartig: kein Baum,
nur Sand, Flechten und wieder Sand. Die alten Jäger blieben
überrascht stehen. Diesen trostlosen Ort hatten sie noch nie
gesehen. Und doch liefen sie seit zwanzig Jahren kreuz und quer durch
die Wälder und hatten geglaubt, daß es keinen
einzigen Winkel im Lande gäbe, der ihnen unbekannt geblieben
wäre, wie abseits er auch gelegen, und wie schwierig auch der
Zutritt sein mochte. Bestürzt beeilten sie sich, die Formeln
zu murmeln, die den Geistern des Ortes schmeicheln, den man zum ersten
Male betritt.
Eine Kette von kahlen, abschüssigen
Bergrücken verschloß den Ausblick gegen
Sonnenaufgang. No und seine Gefährten wandten
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