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Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
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fesseln könnten.
    Doch No muß zunächst sich selbst retten. Er
wendet sich einem Wäldchen zu, in dem er sich verstecken und
den Bär solange zurückhalten will, bis die Leute vom
Fluß herbeigekommen wären. Er läuft, aber
schon wird er müde. Er ist atemlos, er hat Angst, er glaubt
den Lärm der den Boden schlagenden Tatzen zu hören.
Er wendet den Kopf. Der Bär ist auf zweihundert Schritte
herangekommen. Er läuft langsam und sicher in seiner ruhigen
Gangart, die er den ganzen Tag durchhalten könnte. No wird
eine Tanne auf einem Hügel gewahr. Mit einer letzten
Anstrengung stürzt er darauf zu. Der Bär ist knapp
hinter ihm. Mit Händen und Füßen arbeitend,
gelingt es No, den ersten Zweig hoch über dem Boden zu
ergreifen. Er schwingt sich hinauf, er ist außer Gefahr.
    Am Fuße des Baumes richtet sich der wütende
Bär brummend auf. Er umklammert den Stamm und, obwohl die
Tanne von der Stärke eines Manneskörpers ist,
schüttelt er sie wie eine Binse. Zu brechen vermag er sie aber
nicht. Aufgerichtet erreicht er den ersten Ast; wird er heraufklettern?
No greift zu seinem Bogen und nagelt mit seinem Pfeil die Vordertatze
des Bären an den Ast, auf dem sie eben liegt. Der Bär
brüllt wütend auf. Er reißt seine Pranke
zurück und fällt zur Erde. Seine Tatze blutet. Er
leckt sie brummend und legt sich in geringer Entfernung von der Tanne
nieder, er glaubt, seiner Rache und seiner Beute sicher zu sein.
    Die Sonne hat indessen schon fast ihren Höhepunkt
erreicht. Wie doch die Jäger säumen! In
gleichmäßigen Abständen sendet No seine
Hilferufe – langgezogene, scharfe Pfiffe – in die
Weite. Langsam verrinnt die Zeit. Der Bär macht einige
Schritte um den Baum herum, und No bemerkt, daß er sich der
verwundeten Tatze nicht bedient. Er bewundert das riesenhafte Tier.
Sein Rücken ist ein runder Hügel; seine Tatzen
würde ein Mammut tragen können, sein Nacken ist breit
wie der eines Bisons, sein Schädel vermöchte ein
Rhinozeros von der Erde emporzuheben. Aufrechtstehend mißt er
drei bis vier Fuß mehr als No. Wahrlich, der Stammvater hat
das mächtigste aller Tiere zum Sitz seiner Seele
erwählt. No denkt daran, daß es bald, vielleicht
schon morgen, allen Angehörigen des geschwächten
Stammes vergönnt sein werde, an diesen
übermenschlichen Kräften teilzuhaben. Der Vater
muß sterben, damit die Söhne leben...
    Ein ferner Ruf läßt ihn erbeben. Die
Jäger streifen durch den nahen Wald! No verständigt
sie durch sein Pfeifen, daß die gefährliche Beute
hier bei ihm sei, damit sie die nötigen
Vorsichtsmaßregeln nicht außer acht lassen.
    Schon läßt auch der Bär Zeichen von
Unruhe erkennen. Er hebt den Kopf und zieht durch seine
Nüstern die Witterung ein, die ihm der Wind zuträgt;
er horcht auf die Geräusche, die den Boden entlanglaufen. Er
ist erregt, er brummt und verstummt dann und bleibt nur noch
gespannteste Aufmerksamkeit. Noch lange Zeit vergeht in Schweigen und
scheinbarem Frieden. Der Wind, der vom Süden kommt, bringt
keinerlei beängstigende Botschaft...
    Plötzlich ertönt von Norden her
betäubendes Getöse; Trommeln und Bockshörner
vereinigen sich zu ohrenzerreißendem Lärm. Nos Herz
hämmert vor Freude, Unruhe und Stolz, da er den klugen Plan
der Seinen durchschaut. Mit der großen Umgehung, die sie
durchgeführt haben, zwingen sie den Bären, gegen
Süden auszubrechen. Im Westen, wenige hundert Schritte weit,
strömt der Fluß, den er, mit den Verfolgern auf den
Fersen, nicht durchqueren wird; im Osten sperren
unüberwindbare Abhänge seinen Weg. So bleibt ihm nur
die eine Richtung, die zu den Wohnstätten führt...
    Beim ersten Ertönen des Lärmes hat sich der
Bär in ein Gesträuch geworfen und entflieht in der
Richtung, die ihm vorgeschrieben ist. Er läuft auch auf drei
Tatzen noch immer mit überraschender Geschwindigkeit. No ist
unter den vordersten Jägern, die der frischen Fährte
folgen. Hoh, hoh! die Jagd beginnt! Der Wald widerhallt von den Rufen
der Männer und vom Lärm der Instrumente. Wohin kann
der gehetzte Bär entkommen?
    Zweimal erblicken ihn die Jäger, wie er eine Lichtung
überquert. Er hinkt stark, sein Gang ist langsamer geworden.
Hoh, hoh! Die Männer laufen wie die Hunde der
Rundköpfe, sie lassen ihre Beute nicht mehr aus. Der feuchte
Boden zeigt kaum den Abdruck ihrer leichten Füße. Die
Zweige, an denen sie vorbeistreichen, schlagen nach ihnen, um sie zu
größerer

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