Ende einer Welt
Erde zurück. Er stampft vor Zorn, dann
faßt er einen Entschluß und trottet eilig dem Ausgang
der Schlucht zu.
No hat begriffen. Der Bär wird den langen Umweg
nehmen, um auf die Plattform zu gelangen. Nun gilt es zu fliehen, ohne
einen Augenblick zu verlieren. Schnell erreicht No den ebenen Boden und
pfeilschnell läuft er davon.
Dank der Bodengestaltung wird er einen Vorsprung von einigen
tausend Schritten haben, ehe der Bär die Ebene erreichen kann.
Er läuft dem Flusse zu. Wenn er diesen entlang
flüchtet, ist er sicher, den Jägern vom Stamme zu
begegnen, die zu seiner Unterstützung herankommen. Im
Morgengrauen müssen sie die Wohnstätten verlassen
haben. Gegen Mittag werden sie hier sein. Aber der Bär!
Welchen Weg wird er nehmen? Wieviel Zeit wird er brauchen?
»Alles hängt davon ab«, überlegt No
im Laufen. »Ob es der Bär lange ohne Rast
aushält. Dann würde er mich eingeholt haben, ehe noch
die Sonne über dem Horizont steht. Doch, was hilft's, hier
gibt es nichts zu überlegen...« Und No läuft
ohne besondere Hast, denn es gilt, lange auszuhalten. Er läuft
mit vorgestrecktem Kopf, mit erweiterter Brust, die Ellbogen an den
Körper gezogen, die Füße geschmeidig und
standhaft, als wären sie glücklich, ihrem Herrn das
Leben zu retten. Er läuft frei und unbehindert auf weichem
Sand. Der Nebel kommt No zu Hilfe und hüllt ihn ein. Doch er
findet trotzdem mühelos den Weg. Er weiß, in welcher
Richtung er den großen von Hügeln eingerahmten
Talkessel durchqueren muß, um den Fluß zu erreichen.
Endlich erklimmt er die ersten Vorberge der Gebirgskette. Er
muß Atem holen. Auch Hunger verspürt er, er
muß essen. Er zieht ein Stück getrockneten Fleisches
aus seinem Wams. In diesem Augenblick zerteilen sich die windgejagten
Nebel. Vor seinen Blicken dehnt sich ein weites Land, das die Sonne
bescheint, die schon ein Viertel ihres Weges auf dem Himmel
zurückgelegt hat. Da sieht er inmitten der Ebene, die er eben
durcheilte, einen dunklen Punkt, einen Punkt, der sich jeden Augenblick
vergrößert. Es ist der Bär, der in der
Gangart eines galoppierenden Pferdes herankommt. No schätzt
die Entfernung, die ihn von seinem Verfolger trennt, mit der Sicherheit
eines Mannes, dessen Leben schon ungezählte Male von der
Richtigkeit seiner Berechnungen abhing. Das Tier hat schon mehr als die
Hälfte seiner Verspätung eingeholt. Einen Augenblick
zögert No. Er würde erreicht sein, noch ehe die
Jäger anlangen. Was wird geschehen? ... Aber warum sollte er
nicht auf einem von ihm gewählten Platz kämpfen? Sich
hinter einem Felsen verbergen, den Bogen vorbereiten und dann, wenn der
Bär nur mehr wenige Schritte entfernt ist, dann erst, ohne zu
zittern, ihm das Herz durchbohren... »Aber es ist mir
verboten, ihn zu töten«, besinnt er sich sofort.
»Ich kann nicht. Ich muß fliehen...«
Einen letzten Blick sendet er auf die Ebene hinter sich, dann
erklettert er die steilen Abhänge. Hier verliert er noch mehr
von seinem Vorsprung. Der Bär ist schon am Fuße des
Berges angelangt, als No eben erst den Gipfel erreicht. Doch von hier
oben erblickt er den Fluß mit all den vertrauten Windungen,
ein Land, das er schon hundertmal durchquerte. Dieser Anblick gibt ihm
neue Kräfte. Er verzweifelt nicht mehr an seiner Rettung,
obwohl er nirgends im Süden die Jäger zu erblicken
vermag, die ihm entgegenkommen sollen. Er macht Sprünge wie
ein Hirschkalb, erreicht das Flußufer und gelangt wieder auf
flaches Land. Ein rascher Blick zurück zeigt ihm am Bergkamm
die gewaltige Masse des Bären, dessen zottige Tatzen sich
geschmeidig heben und senken und nicht den Eindruck besonderer Hast
erwecken.
No begreift, daß er in Kürze eingeholt sein
wird. Doch jeder Schritt, den er vorwärts tut, bringt das
Opfertier den Wohnstädten näher, bei denen das Opfer
vollzogen werden soll. Die geschickten Jäger, denen er es
zuführt, werden es nicht mehr entweichen lassen... Das ist
fürwahr ein herrlicher Sieg, den er für die Seinen
vorbereitet. So überlegt No, während er durch Strauch
und Buschwerk um sein Leben läuft. Wohl durchdacht
wählt er seinen Weg durch das Sumpfgebiet, denn er kennt genau
den Ort, wo er sich herauswagen kann, und die kaum sichtbaren
Fußspuren, denen es zu folgen gilt. Vielleicht wird der
Bär in seiner Wut daneben tappen?
Wenn er im Morast steckenbliebe, würde es so leicht
sein, ihn zu fangen, daß Mädchen und Kinder ihn
Weitere Kostenlose Bücher