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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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bestiegen den Royal Highlander in Euston, und ich verbrachte, wie mir schien, die halbe Nacht damit, immer wieder aus dem Bett zu klettern, aus dem Fenster zu sehen und mich darüber zu freuen, daß der Zug nach Norden raste, und nichts, außer einem schrecklichen Schicksalsschlag, ihn aufhalten konnte.
    In Edinburgh wurde ich von einer weiblichen Stimme mit heimeligem schottischen Akzent geweckt. „Edinburgh Waverley. Hier ist Edinburgh Waverley“, rief sie. Ich stand auf, zog meinen Regenmantel über mein Nachthemd, setzte mich auf die Abdeckung des Waschbeckens und sah hinaus. Die Licher von Edinburgh glitten vorbei, und ich wartete auf die Brücke, als der Zug plötzlich ein völlig anderes Geräusch machte und über den Forth schoß. Der Fluß strömte viele Meter unter uns dahin, dunkelschimmerndes Wasser, in dem die vorübergleitenden Lichter von Miniaturschiffen glitzerten.
    Ich ging wieder ins Bett und döste, bis wir nach Relkirk kamen. Dort stand ich auf und öffnete das Fenster. Die Luft strömte herein, kalt und würzig vom Geruch nach Torf und Kiefern. Wir waren am Rand der Highlands. Es war erst Viertel nach fünf, aber ich zog mich an und verbrachte den letzten Teil der Reise damit, aus dem Fenster zu schauen, die Wange gegen die dunkle, regennasse Scheibe gepreßt. Erst konnte ich nur wenig erkennen, doch mit der Zeit, als wir uns über den Paß gemüht und den langen Abstieg begonnen hatten, das sanfte Gefälle hinab, das schließlich nach Thrumbo führte, wurde es Tag. Von der Sonne war keine Spur zu sehen, die Dunkelheit lichtete sich einfach unmerklich. Die Wolken hingen dick, grau und weich über den Gipfeln der Berge, aber als wir hinunter ins Tal sausten, wurden sie dünner, zerfaserten und lösten sich auf. Das große weite Tal, der Glen, lag nun vor uns, goldbraun und ruhig im frühen Morgenlicht.
    Es klopfte an meine Tür, und der Schlafwagenschaffner sah herein. „Der Herr möchte wissen, ob Sie wach sind. Wir werden in etwa zehn Minuten in Thrumbo ankommen. Soll ich Ihr Gepäck nehmen?“
    Er nahm den Koffer mit, die Tür schloß sich hinter ihm. Ich drehte mich wieder zum Fenster um, denn nun wurde mir die Landschaft allmählich sehr vertraut, und ich wollte mir nichts entgehen lassen. Auf diesem Stück Straße war ich gegangen, über dieses Feld auf einem Highland Pony geritten, war zum Tee in jenes weiße Cottage mitgenommen worden. Und dann war da die Brücke, die die Grenze des Dorfes markierte, die Tankstelle und die feinen Hotels, in denen fast nur ältere Leute wohnten und in denen man nie etwas zu trinken kaufen konnte.
    Die Tür öffnete sich wieder, und David Stewart erschien in der Türöffnung.
    „Guten Morgen.“
    „Hallo.“
    „Wie haben Sie geschlafen?“
    „Ganz gut.“
    Nun wurde der Zug langsamer, bremste. Wir rollten am Signalkasten unter der Brücke vorbei. Ich ließ mich von der Abdeckung des Waschbeckens gleiten, folgte David in den Korridor hinaus und sah über seiner Schulter das Schild mit der Aufschrift Thrumbo triumphierend vorbeisegeln. Dann hielt der Zug. Wir waren angekommen.
    David hatte sein Auto in einer Garage untergestellt, deshalb ließ er mich auf dem Bahnhofsvorplatz warten. Ich saß auf meinem Koffer in dem verlassenen, erwachenden Dorf, sah, wie die Lichter angingen, eins nach dem anderen, sah den Rauch der Schornsteine und einen Mann, der auf einem Fahrrad die Straße heruntergeschwankt kam. Dann hörte ich weit über mir ein Schreien und Schnattern. Es wurde lauter und zog ganz eindeutig über meinem Kopf vorbei, aber ich konnte die Formation der Wildgänse nicht sehen, denn sie flogen über den Wolken.
     
    Elvie Loch liegt etwa zwei Meilen hinter dem Dorf Thrumbo. Eine unregelmäßige ausgedehnte Wasserfläche mäandert Richtung Norden an der Hauptstraße nach Inverness entlang, am gegenüberliegenden Ufer begrenzt von den wuchtigen Massen der Cairngorms. Elvie selbst ist fast eine Insel, eine Insel in Form eines Pilzes, dessen Stiel mit dem Festland verbunden ist. Diese enge Landzunge ist nicht mehr als ein Damm zwischen dem mit Schilfgras bestandenen Marschland, das Hunderten von Vögeln Nistplätze bietet.
    Viele Jahre lang hatte dieses Stück Land der Kirche gehört. Es gab tatsächlich noch die Ruinen einer kleinen Kapelle, die nun ohne Dach verlassen dastand, obwohl der kleine Kirchhof, der sie umgab, immer sauber und in Ordnung gehalten wurde, die Eiben akkurat beschnitten, das Gras kurzgemäht wie Samt, auf dem im Frühling

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