Ende eines Sommers
hinzu, das formlose Kleidungsstück beäugend. „Was willst du dazu tragen?“
„Hosen … irgendwas. Eigentlich wollte ich einen Rock, aber ich konnte nichts Passendes finden.“
„Was für einen Rock?“
„Irgend etwas Warmes … Vielleicht wenn du nächstes Mal nach Inverness fährst …“
„Wie wär’s mit einem Kilt?“ sagte meine Großmutter.
Daran hatte ich nicht gedacht. Ich fand die Idee großartig. Kilts sind das Bequemste auf der Welt, und die Farben sind wunderschön. „Wo kann ich einen Kilt kaufen?“
„Oh, meine Liebe, du brauchst keinen zu kaufen, das Haus ist voll von Kilts. Wir haben keinen von Sinclairs abgetragenen Kilts weggeworfen.“
Ich hatte den glücklichen Umstand vergessen, daß ein Kilt, im Gegensatz zu einem Fahrrad, geschlechtsneutral ist. „Aber das ist eine wunderbare Idee! Warum sind wir nicht schon früher darauf gekommen? Ich gehe sofort nachsehen. Wo sind sie? Auf dem Speicher?“
„Keineswegs. Sie sind in Sinclairs Zimmer, in der Klappe über seinem Schrank. Ich habe sie alle mit Mottenkugeln weggepackt, aber wenn du einen möchtest, können wir ihn eine Weile draußen aufhängen, damit der Geruch herausgeht, und er wird so gut wie neu sein.“
Ich wollte keinen Augenblick verlieren und machte mich auf die Suche nach einem Kilt. Sinclairs Zimmer, im Augenblick herrenlos, war geputzt und ausgefegt worden und makellos ordentlich. Ich erinnerte mich daran, daß diese Ordnungsliebe ihm immer schon eigen war. Als Junge hatte er Unordnung nicht ertragen können, nie mußte jemand anders seine Kleider zusammenlegen oder seine Spielsachen wegräumen.
Ich hob einen Stuhl hoch und ging zum Schrank hinüber. Er war in den Alkoven auf der Seite des Kamins gebaut worden; der Raum zwischen der Oberseite des Schrankes und der Decke wurde als zusätzlicher Stauraum für Koffer benutzt und für Kleider, die in der Jahreszeit nicht getragen wurden. Ich stellte mich auf einen Stuhl, öffnete die Klappe und blickte auf einen ordentlichen Stapel Bücher, einige Autozeitschriften, einen Squashschläger, ein Paar Schwimmflossen. Starker Kampfergeruch strömte aus einer riesigen Kleiderschachtel, die mit einer Kordel verschnürt war, und ich langte hoch, um sie herunterzuheben. Sie war schwer und sperrig, und während ich damit kämpfte, stieß ich mit dem Ellenbogen gegen den Bücherstapel und brachte ihn ins Wanken. Durch den Karton behindert, konnte ich nichts dagegen tun, daß die Bücher hinunterfielen, ich stand einfach auf dem Stuhl und hörte zu, wie sie in fürchterlichem Durcheinander auf den Boden krachten.
Ich fluchte, packte den Karton fester, hob ihn herunter, legte ihn aufs Bett und bückte mich, um die Bücher aufzuheben. Es waren ungefähr zehn Bände, ein Wörterbuch, „Le Petit Larousse“, ein „Leben Michelangelos“ und, ganz unten …
Es war dick und schwer und in scharlachrotes Leder eingebunden, auf dem Deckel prangte ein privates Wappen, auf dem vorderen Umschlag und auf dem karminroten Rücken war in goldenen Lettern gepunzt: „Eine Geschichte der Erde und der belebten Natur, Band I und II“.
Ich kannte das Buch. Ich war wieder sechs Jahre alt, und mein Vater hatte es gerade mitgebracht von einem seiner gelegentlichen Beutezüge in Mr. McFees Antiquariat in Caple Bridge. Mr. McFee war schon lange tot, sein Geschäft war jetzt ein Tabakladen, aber damals hatte mein Vater viele glückliche Stunden im Gespräch mit Mr. McFee verbracht, einem heiteren Exzentriker, der keine langweiligen Vorurteile gegen Schmutz oder Staub hatte.
Er hatte Goldsmiths „Belebte Natur“ zufällig gefunden und es triumphierend nach Hause gebracht, denn es war nicht nur ein seltenes Werk, sondern von einem früheren Besitzer aus adliger Familie privat eingebunden worden und so an sich schon ein schöner Gegenstand. Mein Vater brachte es in seiner Begeisterung und in dem Wunsch, seine Freude zu teilen, als erstes ins Kinderzimmer, um es Sinclair und mir zu zeigen. Meine Reaktion war vermutlich enttäuschend. Ich strich über das hübsche Leder, betrachtete ein oder zwei Bilder von asiatischen Elefanten und wendete mich dann wieder meinem Puzzle zu.
Aber mit Sinclair war es etwas anderes. Sinclair liebte alles daran, den alten Druck, die dicken Seiten, die Aquatintastiche, jedes Detail der winzigen Zeichnungen. Er liebte den Geruch, das marmorierte Vorsatzblatt und das Gewicht des großen alten Buches.
Der Erwerb eines solchen Prachtstücks für die Sammlung meines Vaters
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