Ende eines Sommers
war einer besonderen Zeremonie würdig. Also holte er einige seiner Ex-Libris-Aufkleber, einen Holzschnitt mit seinen Initialen, die von dekorativen Pflanzenornamenten umrankt wurden, und klebte ihn feierlich auf das marmorierte Vorsatzblatt von Goldsmiths Werk. Sinclair und ich sahen dieser Operation in ergriffenem Schweigen zu, und als er damit fertig war, stieß ich einen Seufzer der Befriedigung aus, weil damit alles seine Ordnung hatte und nicht der Schatten eines Zweifels bestand, daß das Buch nun meinem Vater gehörte.
Dann wurde das Buch nach unten gebracht und auf einen Tisch im Wohnzimmer gelegt, neben Zeitschriften und Tageszeitungen, wo es bewundert, in die Hand genommen und im Vorübergehen durchgesehen werden konnte. Es wurde nicht wieder davon gesprochen, bis mein Vater zwei oder drei Tage später feststellte, daß es verschwunden war.
Niemand war deswegen besonders beunruhigt. Goldsmiths „Belebte Natur“ war einfach woandershin geraten. Vielleicht hatte es jemand ausgeliehen und vergessen zurückzulegen. Aber niemand hatte es ausgeliehen. Mein Vater begann nachzuforschen und zog nichts als Nieten. Meine Großmutter suchte stundenlang, aber das Buch kam nicht zum Vorschein.
Dann wurden Sinclair und ich hinzugezogen. Hatten wir das Buch gesehen? Natürlich hatten wir es nicht gesehen, und nachdem wir das einmal gesagt hatten, wurde unsere Unschuld nie in Frage gestellt. Meine Mutter sagte: „Vielleicht ein Einbrecher …“, aber meine Großmutter tat das verächtlich ab. Welcher Einbrecher würde antikes Silber stehenlassen und sich nur mit einem alten Buch davonmachen? Sie bestand darauf, Goldsmiths „Belebte Natur“ sei einfach verlegt worden. Es würde wiederauftauchen. Wie jede kleine Sensation starb diese mysteriöse Geschichte eines natürlichen Todes, das Buch aber wurde nie gefunden.
Bis jetzt. In Sinclairs Schrank, säuberlich weggeräumt mit einigen anderen Besitztümern, für die er keine rechte Verwendung mehr hatte. Es war schön wie eh und je, das rote Leder war glatt und fühlte sich weich an, die Buchstaben leuchteten golden. In meinen Händen wog es schwer wie Blei. Ich erinnerte mich an das Ex Libris meines Vaters, schlug den Vorderdeckel des Buches auf und sah, daß das marmorierte Vorsatzblatt mitsamt dem Ex Libris entfernt worden war, vorsichtig und genau, dicht an der Bindung, vielleicht mit einer Rasierklinge. Und auf dem weißen Deckblatt, das darunterlag, stand schwarz auf weiß in der festen Handschrift des zwölfjährigen Sinclair:
Sinclair Bailey
Elvie
Dies ist sein Buch
9
D as wunderschöne warme Wetter hielt an. Am Montag nachmittag ging meine Großmutter mit einem Spaten und einem Paar Gartenhandschuhen bewaffnet hinaus, um Blumenzwiebeln zu pflanzen. Ich bot ihr meine Hilfe an, aber sie lehnte ab. Wenn ich mitkäme, würden wir doch nur schwatzen, meinte sie, und es würde nichts geschafft. Allein sei sie schneller. Deshalb pfiff ich nach den Hunden und machte mich auf zu einem Spaziergang. Ich arbeite ohnehin nicht gern im Garten.
Ich ging mehrere Meilen und war zwei Stunden oder länger unterwegs. Als ich zurückkehrte, verblaßte der Sonnenschein, und es wurde kühl. Ein paar Wolken zeigten sich über den Gipfeln der Berge, sie waren von Norden herangeweht worden, und über dem Loch lag ein Nebelstreif. Aus dem ummauerten Garten, wo Will ein Feuer machte, stieg blauer Rauch auf und verwehte wie eine lange Feder, die Luft war erfüllt von dem Geruch brennenden Abfalls. Die Hände tief in den Taschen vergraben überquerte ich den Damm und kam zu der Straße unter den Blutbuchen. Einer der Hunde begann zu bellen, ich blickte auf und sah den dunkelgelben Lotus Elan vor dem Haus parken.
Sinclair war zurück. Ich ging weiter, über das Gras, watete knöcheltief in abgefallenen Blättern bis zum Kiesweg. Als ich am Auto vorbeiging, ließ ich meine Hand über einen glänzenden Kotflügel gleiten, als müßte ich mich versichern, daß er wirklich da war. Ich betrat die warme Diele, wo es nach Torffeuer roch, wartete auf die Hunde und schloß dann die Tür hinter mir.
Ich hörte Stimmengemurmel aus dem Wohnzimmer. Die Hunde liefen zu ihren Näpfen, tranken und ließen sich dann vor das Kaminfeuer in der Diele fallen. Ich löste den Gürtel meines Regenmantels, zog ihn aus, schüttelte die schmutzigen Schuhe von den Füßen und glättete mein Haar mit den Händen. Dann durchquerte ich die Diele, öffnete die Tür und sagte : „Hallo,
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