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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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berichtete, ein Foto von einem neugewählten Stadtrat, eine Kolumne berichtete von irgendeinem Mädchen aus Thrumbo, das in Neuseeland sein Glück gemacht hatte …
    Und dann fand ich es, fettgedruckt in der untersten Ecke:
     
    Tod einer bekannten Skiläuferin
    Die Leiche von Miss Tessa Faraday wurde heute morgen in ihrer Wohnung in Crawley Court, London S. W. 1 gefunden. Miss Faraday, 22 Jahre alt, war im letzten Winter die Gewinnerin der Damenmeisterschaft …
     
    Die Buchstaben tanzten, verschwammen und waren verloren. Ich schloß die Augen, als könnte ich so das Entsetzen aussperren, dabei wußte ich doch genau, daß es kein Entkommen gab vor dem, was in meinem eigenen Kopf vor sich ging. Sie sagte, sie würde andere Maßnahmen treffen, hatte Sinclair erklärt. Sie ist herumgekommen. Sie ist ein vernünftiges Mädchen.
    „Sie hat sich umgebracht“, sagte ich benommen.
    Ich öffnete die Augen. Er hatte sich nicht bewegt. Dann hörte ich, wie meine eigene Stimme fragte: „Wußtest du, wie diese anderen Maßnahmen aussehen würden?“
    Mühsam sagte er: „Ich dachte, sie meinte, sie würde es loswerden.“
    Ich war plötzlich sehr weise. Ich wußte Bescheid. „Sie hatte keine Angst davor, das Kind zu bekommen“, sagte ich. „So war sie nicht. Sie hat sich umgebracht, weil sie wußte, daß du sie nicht mehr liebtest. Du wolltest eine andere heiraten.“
    In einem plötzlichen Wutanfall fuhr er herum. „Halt den Mund, sag kein Wort mehr über sie, hörst du? Sprich nicht von ihr, sag nichts über sie, kein einziges Wort. Du weißt überhaupt nichts von ihr, tu also nicht so als ob. Du verstehst das nicht, und das ist von dir auch nicht zu erwarten.“
    Damit ließ er den Motor an, löste die Handbremse, und mit einem lauten Sirren der nassen Reifen auf den nassen Pflastersteinen schwang der Lotus herum und schoß über den Platz zu der Straße, die hinaus aufs Land und schließlich nach Elvie führte.
    Er war betrunken, oder er hatte Angst, oder sein Herz war gebrochen, oder er stand unter Schock. Oder all das zusammen. Er verschwendete jetzt keinen Gedanken an Verkehrsregeln oder auch nur schlichte Vorsicht. Sinclair war auf der Flucht, gejagt von tausend Teufeln, und Geschwindigkeit war seine einzige Gegenwehr.
    Wir rasten durch die engen Straßen der kleinen Stadt und schossen hinaus in das dunkle Land dahinter. Die Wirklichkeit schrumpfte auf die Umrisse der Straße vor uns zusammen, die weißen Linien und die Leuchtnägel in der Mitte kamen uns so ungestüm entgegen, daß sie alle zu einer einzigen Einheit verschwammen. Ich hatte nie zuvor wirkliche körperliche Angst empfunden, aber jetzt stellte ich fest, daß ich die Zähne zusammengebissen hatte, daß sie schmerzten, und mit dem Fuß so stark auf eine imaginäre Bremse trat, daß ich Gefahr lief, mir die Wirbelsäule auszurenken. Wir bogen um die letzte Ecke, und vor uns lag die Straße zu der Baustelle offen. Die Ampel stand auf Grün, um durchzukommen, bevor sie die Farbe wechselte, gab Sinclair noch mehr Gas, und wir brausten vorwärts, schneller als zuvor. Ich merkte, wie ich betete: Laß die Ampel rot werden. Jetzt. Bitte, laß die Ampel rot werden.
    Und dann, als es nur noch etwa fünfzig Yards waren, geschah das Wunder, die Ampel sprang auf Rot. Sinclair begann zu bremsen, und ich wußte in diesem Augenblick, was ich zu tun hatte. Mit kreischenden Reifen kam der Lotus schließlich zum Stillstand. Am ganzen Körper zitternd öffnete ich die Autotür und stieg aus.
    „Was machst du da?“ fragte Sinclair.
    Ich stand im Dunkeln und im Regen, gefangen wie ein Nachtfalter vom Strahl der langsam näherkommenden Scheinwerfer, die sich aus der anderen Richtung auf uns zu bewegten.
    „Ich habe Angst“, sagte ich.
    Relativ freundlich sagte er: „Steig wieder ein. Du wirst naß.“
    „Ich gehe zu Fuß.“
    „Aber es sind vier Meilen …“
    „Ich möchte zu Fuß gehen.“
    „Janey …“ Er lehnte sich vor, als wolle er mich ins Auto zurückziehen, aber ich trat zurück, so daß er mich nicht erreichen konnte.
    „Warum?“ fragte er.
    „Ich habe es dir gesagt, ich habe Angst. Die Ampel ist wieder grün … Du mußt fahren, sonst hältst du den ganzen Verkehr auf.“
    Und um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, begann ein kleiner Lastwagen, der hinter Sinclair stand, zu hupen. Die Hupe klang heiser und machte einen unverschämten Krach, zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort hätte uns das zum Lachen gebracht.
    Schließlich sagte er:

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