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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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er war orangefarben tapeziert, mit Rohrstühlen und Tischen möbliert, eine Reihe Gipsenten und eine vereinzelte Vase mit staubigen Plastikblumen bildeten die Dekoration. Im Raum standen außerdem eine Gasheizung, die nicht brannte, ein paar große Aschenbecher der Brauerei und ein Klavier, das allerdings verschlossen war. Wir mußten also selbst für unsere Unterhaltung sorgen.
    Ich saß allein, niedergeschlagen und frierend in diesem Raum, erfüllt von namenlosen Ängsten um Sinclair, fassungslos über alles, was geschehen war, und wartete auf ihn. Endlich kam er wieder, mit einem kleinen hellen Sherry für mich in der einen und einem großen dunklen Whisky für sich in der anderen Hand. Sofort fragte er: „Warum hast du das Feuer nicht angemacht?“
    Eingedenk des verschlossenen Klaviers und der allgemeinen Atmosphäre unwirtlicher Mißbilligung antwortete ich: „Ich dachte, das dürfte ich nicht.“
    „Sei nicht albern“, sagte Sinclair, nahm ein Streichholz und kniete nieder, um das Gasfeuer anzuzünden. Es folgte eine leise Explosion, eine Kette kleiner Flammen züngelte auf, starker Gasgeruch drang durch den Raum, und innerhalb einer Minute spürte ich einen Hitzestrahl an meinem Knie.
    „Ist es so besser?“
    Es war nicht besser, denn die Kälte kam tief aus meinem Innern und ließ sich nicht einfach fortwärmen, doch der Einfachheit halber nickte ich. Zufrieden setzte er sich in einen kleinen Korbstuhl, der auf dem phantasievollen Kaminvorleger stand, stöberte nach einer Zigarette, zündete sie an und hob sein Whiskyglas in meine Richtung.
    „Ich schau dir in die Augen“, sagte er.
    Es war ein alter Witz, daran sollte ich erkennen, daß er eine Art Waffenstillstand schließen wollte. Ich hätte nun sagen müssen: „Und ich hebe mein Glas“, aber das tat ich nicht, denn ich war nicht sicher, ob wir je wieder zu unserer alten Freundschaft zurückfinden konnten.
    Danach sprach er nicht mehr. Ich trank meinen Sherry aus, setzte das leere Glas ab, und als ich sah, daß er mit seinem erst halb fertig war, entschuldigte ich mich kurz. Ich hatte die Absicht, mein Aussehen zu überprüfen, bevor ich meiner Großmutter unter die Augen trat. Sinclair sagte, er würde warten, also verließ ich den Raum, stolperte durch einen Korridor, dann eine Treppe hinauf und fand die Damentoilette, die keineswegs gastfreundlicher war als der trostlose Raum unten. Im Spiegel begegnete mir ein entmutigendes Bild, mein Gesicht war fleckig und geschwollen, die Wimperntusche verschmiert. Ich wusch mir Hände und Gesicht mit kaltem Wasser, fand einen Kamm in meiner Tasche und glättete mein wirres Haar. Dabei hatte ich die ganze Zeit über das Gefühl, als würde ich einen Leichnam zurechtmachen wie in den makabren Geschichten von amerikanischen Leichenbestattern.
    All das nahm einige Zeit in Anspruch, und als ich wieder
    nach unten kam, fand ich den freudlosen Raum leer. Durch die Tür, die in die eigentliche Bar führte, hörte ich jedoch Sinclairs Stimme. Er sprach mit dem Barmann, und ich nahm an, daß er die Gelegenheit ergriffen hatte, um sich noch einen Whisky zu genehmigen und ihn in einer sympathischeren Umgebung zu trinken.
    Ich wollte nicht herumsitzen, deshalb ging ich zum Auto, um auf ihn zu warten. Es hatte angefangen zu regnen, der Marktplatz war naß und schwarz wie ein See, auf dem der orangefarbene Widerschein der Straßenlaternen schimmerte. Zusammengekauert und frierend saß ich im Auto, mir fehlte sogar die Energie, mir eine Zigarette anzuzünden. Dann sah ich, wie die Tür des Crimond Arms aufging, einen Augenblick lang zeigte sich Sinclairs Silhouette, dann schloß sich die Tür wieder, und er kam durch den Nieselregen auf mich zu. In der Hand hielt er eine Zeitung.
    Er warf sich hinter das Steuer, knallte die Tür zu und saß einfach da. Es roch nach Whisky, und ich fragte mich, wie viele Gläser er in der Zeit, in der ich oben war, um mein Gesicht zu waschen, wohl hatte trinken können. Nach einer Weile, als er immer noch keine Bewegung machte, um das Auto zu starten, fragte ich: „Stimmt etwas nicht?“
    Er antwortete nicht, sondern saß einfach da, starrte vor sich hin, sein Profil war blaß, die Wimpern lagen dunkel und dicht an den Wangenknochen.
    Ich war plötzlich besorgt. „Sinclair?“
    Er reichte mir die Zeitung. Ich sah, daß es die lokale Abendzeitung war, vermutlich hatte er sie in der Bar aufgelesen. Im Licht der Straßenlaternen las ich die Schlagzeile, die von einem Busunglück

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