Ende eines Sommers
Weihnachtsbasar der Kirche. Ich hatte meine leere Teetasse abgesetzt, eine Zigarette angezündet, las die Zeitung und war halb versunken in die Besprechung eines neuen Theaterstücks, als sie plötzlich sprach.
„Ich habe ein sehr schlechtes Gewissen, Jane. Ich hätte dir von Aylwyn erzählen sollen an jenem Tag, als wir im Garten draußen saßen und du anfingst, mich über ihn auszufragen. Ich war drauf und dran, es zu tun, aber dann hat mich irgend etwas veranlaßt, meine Meinung zu ändern. Es war sehr dumm von mir.“
Ich ließ die Zeitung sinken und faltete sie zusammen. Ihre Nadeln klapperten sanft weiter, sie hatte nicht von ihrem Strickzeug aufgesehen.
„Sinclair hat es mir erzählt“, sagte ich.
„Wirklich? Ich habe mir gedacht, daß er das vielleicht tun würde. Es war sehr wichtig für Sinclair. Und es war ihm sicher wichtig, daß du Bescheid weißt. Warst du sehr schockiert?“
„Warum sollte ich schockiert sein?“
„Aus einer Reihe von Gründen. Weil er unehrlich war. Weil er ins Gefängnis kam. Weil ich versucht habe, es vor euch allen zu verheimlichen.“
„Es war vielleicht besser, es zu verheimlichen. Es hätte uns nichts genützt, Bescheid zu wissen. Und ihm auch nicht.“
„Ich habe immer gedacht, dein Vater hätte es dir vielleicht erzählt.“
„Nein.“
„Das war anständig von ihm … er wußte, wie sehr du an Sinclair gehangen hast.“
Ich legte die Zeitung hin und ließ mich auf den Kaminvorleger nieder – ein guter Platz für ein vertrauliches Gespräch. „Aber warum war Aylwyn so? Warum war er nicht wie du?“
„Er war ein Bailey“, sagte meine Großmutter schlicht. „Und sie waren immer schon eine unzuverlässige Sippschaft, trotz ihres hinreißenden Charmes. Nicht einen Pfennig in der Tasche und noch weniger Vorstellungen davon, wie man Geld verdient oder zusammenhält, als der Mann im Mond.“
„War dein Mann auch so?“
„O ja.“ Sie lächelte vor sich hin, als erinnere sie sich an einen längst vergangenen Scherz. „Weißt du, was als erstes passierte, als wir verheiratet waren? Mein Vater zahlte alle seine Schulden. Aber er brauchte nicht lange, um neue zu machen.“
„Hast du ihn geliebt?“
„Wahnsinnig. Aber ich habe sehr bald begriffen, daß ich einen Mann ohne Verantwortungsgefühl geheiratet hatte – und ohne die leiseste Absicht, sich zu ändern.“
„Aber du warst glücklich.“
„Er starb so bald, nachdem wir geheiratet hatten, ich hatte gar keine Zeit, unglücklich zu sein. Doch dann erkannte ich, daß ich auf mich allein gestellt war, und ich beschloß, es wäre besser für meine Kinder, wenn ich völlig neu anfangen würde, weit weg von den Baileys. Deshalb kaufte ich Elvie und brachte meine Kinder hierher. Ich dachte, alles würde anders. Aber weißt du, die Umwelteinflüsse können die Erbanlagen nicht völlig auslöschen, was immer die Kinderpsychologen auch sagen. Ich habe dir von Aylwyn erzählt. Ich sah, wie er aufwuchs und wurde wie sein Vater, und es gab nichts, was ich tun konnte, um das zu verhindern. Er wuchs heran, er ging nach London und bekam einen Job, aber in Null Komma nichts steckte er in finanziellen Schwierigkeiten. Ich habe ihm natürlich geholfen, immer und immer wieder, aber unvermeidlich kam der Tag, als ich nicht mehr helfen konnte. Er hatte mit einigen Anlagepapieren manipuliert oder irgendeinen Betrug begangen, und der Chef seiner Firma sagte, völlig zu Recht, es sei eine Sache für die Polizei. Am Ende konnte ich ihn überreden, nicht zur Polizei zu gehen, wenn Aylwyn sein Wort gäbe, niemals wieder in der Londoner Geschäftswelt aufzutauchen. Deshalb ging er nach Kanada. Aber natürlich hat sich die ganze Angelegenheit einfach wiederholt, und diesmal hatte der arme Aylwyn nicht so viel Glück. Weißt du, Jane, es wäre etwas anderes gewesen, wenn er ein vernünftiges Mädchen geheiratet hätte, eine, die mit beiden Beinen fest auf der Erde steht, und genug Charakterstärke gehabt hätte, auch Aylwyn auf dem Boden zu halten. Aber Silvia war ebenso ein Leichtfuß wie er. Sie waren einfach zwei Kinder. Der Himmel weiß, warum sie eigentlich einwilligte, ihn zu heiraten, vielleicht dachte sie, er habe Geld. Es ist kaum anzunehmen, daß sie in ihn verliebt war, wenn man bedenkt, wie sie Aylwyn und das Baby im Stich gelassen hat.“
„Warum ist Aylwyn nie aus Kanada zurückgekehrt?“
„Wegen Sinclair. Manchmal ist das Bild eines Vaters besser als … der Vater selbst. Sinclair ist –“ Sie
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