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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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korrigierte sich, mit einem kaum merklichen Zittern in der Stimme. „Sinclair war ebenfalls ein Bailey. Es ist erstaunlich, wie ein einziger schlechter Charakterzug in einer Familie geradewegs durch die Generationen weitervererbt wird.“
    „Du meinst, daß er gespielt hat …“
    „Sinclair hat mit dir gesprochen, nicht wahr?“
    „Ein wenig.“
    „Er hatte es gar nicht nötig, weißt du. Er hatte einen guten Job und ein gutes Gehalt, aber er konnte einfach der Versuchung nicht widerstehen. Und die Tatsache, daß wir es nicht verstehen, darf uns nie dazu bringen, ihn abzulehnen. Allerdings glaubte ich manchmal, daß das alles war, wofür Sinclair lebte.“
    „Aber er kam so gern nach Elvie.“
    „Nur dann und wann. Er empfand nicht so für Elvie wie deine Mutter … oder du. Und tatsächlich“ – sie wendete ihre Nadeln und begann eine neue Reihe – „habe ich schon vor langer Zeit beschlossen, daß es gut wäre, wenn Elvie eines Tages dir gehören würde. Wäre dir das recht?“
    „Ich … ich weiß nicht.“
    „Das war der eigentliche Grund, weshalb ich so darauf bestand, daß dein Vater dich heimkommen läßt. Deshalb habe ich ihn mit Briefen bombardiert, die der Schuft sich weigerte zu beantworten. Ich wollte mit dir über Elvie sprechen.“
    „Die Vorstellung ist wunderschön“, sagte ich, „aber ich habe Angst davor, etwas zu besitzen … Ich glaube, ich möchte nicht gebunden sein von der Verantwortung für einen Ort wie Elvie. Und ich wäre nicht frei, ich könnte nicht einfach aufbrechen und gehen, wohin ich will.“
    „Das klingt sehr furchtsam. Und es klingt ein bißchen nach deinem Vater. Wenn er ein wenig mehr Sinn für die Wirklichkeit und für Besitz hätte, dann hätte er inzwischen irgendwo Wurzeln schlagen können. Möchtest du keine Wurzeln, Jane? Möchtest du nicht heiraten und eine Familie haben?“
    Ich sah ins Feuer und dachte an viele Dinge. An Sinclair und meinen Vater … und David. Und ich dachte an die Teile der Welt, die ich gesehen hatte, und die, von denen ich sehr hoffte, sie eines Tages zu sehen. Und ich dachte an Kinder auf Elvie, meine Kinder, die an diesem vollkommenen Ort aufwachsen und all das tun würden, was Sinclair und ich getan hatten …
    Schließlich sagte ich : „Ich weiß nicht, was ich will. Und das ist die Wahrheit.“
    „Ich habe nicht angenommen, daß du das weißt. Und heute, da wir beide nicht in der Gemütsverfassung sind, vernünftig zu sein, ist nicht der beste Zeitpunkt, darüber zu sprechen. Aber du solltest darüber nachdenken, Jane. Wäge die Vor- und Nachteile ab. Wir haben viel Zeit, miteinander darüber zu diskutieren.“
    Ein Scheit brach entzwei und fiel in die schwelende Asche im Kamin. Ich stand auf, um neues Holz zu holen, und da ich bereits stand, bückte ich mich, um das Teetablett in die Küche hinauszutragen. Als ich zur Tür ging und mit dem Tablett und dem Türgriff jonglierte, hielt meine Großmutter mich zurück.
    „Jane.“
    „Ja?“
    Immer noch mit dem Tablett in der Hand drehte ich mich um und sah sie an. Sie hatte aufgehört zu stricken und nahm nun ihre Brille ab, ich sah, wie blau ihre Augen waren und wie tief sie in ihrem blassen Gesicht lagen. Ich hatte sie noch nie so blaß gesehen und noch nie so alt.
    „Jane … erinnerst du dich, wir haben neulich über Sinclairs Freundin gesprochen, Tessa Faraday?“
    Meine Finger krampften sich um die Henkel des Tabletts, und meine Fingerknöchel wurden weiß. Ich wußte, was kommen würde und betete, es möge nicht kommen. „Ja.“
    „Ich habe in der Zeitung gelesen, daß sie gestorben ist. Irgend etwas über eine Überdosis Barbiturate. Hast du das gesehen?“
    „Ja.“
    „Du hast nie etwas gesagt.“
    „Nein, ich weiß.“
    „War es … hatte es irgend etwas mit Sinclair zu tun?“
    Über den Raum hinweg begegneten sich unsere Augen und hielten einander fest. Ich hätte in diesem Augenblick meine Seele dafür gegeben, überzeugend lügen zu können. Aber ich konnte es nun einmal nicht, und meine Großmutter kannte mich sehr gut. Ich hatte keinerlei Hoffnung, damit durchzukommen.
    Ich nickte. „Ja.“ Und dann: „Sie erwartete ein Kind von ihm.“
    Die Augen meiner Großmutter füllten sich mit Tränen. Es war das einzige Mal, daß ich sie weinen sah.

11
     
     
     
     
    D avid kam am Nachmittag des nächsten Tages. Meine Großmutter schrieb Briefe, ich hatte mich in den Garten zurückgezogen und harkte Laub, denn ich habe einmal gehört, körperliche Arbeit sei

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