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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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„In Ordnung“, langte nach dem Türgriff, um die Tür zuzuziehen, und zögerte dann.
    „In einem hattest du recht, Janey“, sagte er.
    „Was war das?“
    „Das Kind von Tessa. Es war von mir.“
    Ich fing an zu weinen. Die Tränen mischten sich mit dem Regen auf meinem Gesicht, und ich konnte nichts tun, um sie aufzuhalten, mir fiel nichts ein, was ich sagen, keine Möglichkeit, wie ich ihm helfen konnte. Dann schlug die Tür zwischen uns zu, und im nächsten Augenblick war er fort, das Auto entfernte sich von mir durch die Absperrung und die blinkenden Lichter, schneller und schneller auf die Brücke zu.
    Wie in einem Alptraum stellte ich fest, daß mein Kopf voller Musik war, mißtönend wie ein Leierkasten, es war Sinclairs Melodie, und nun, als es zu spät war, wünschte ich, ich wäre mit ihm gefahren.
     
    „Freudig schreiten wir voran,
    Schritt für Schritt, Mann für Mann,
    jeder läuft so schnell er kann …“
     
    Der Lotus hatte nun die Brücke erreicht und nahm ihren Buckel wie ein Hindernisläufer. Die Rücklichter verschwanden hinter der Biegung, und im nächsten Augenblick wurde die Stille der Nacht zerrissen von kreischenden Bremsen und schlitternden Reifen auf nassem Asphalt. Dann das malmende Geräusch von zerstörtem Metall, das Klirren von zerbrechendem Glas. Ich fing an zu rennen, so sinnlos, wie man in einem Traum rennt, stolpernd platschte ich durch Pfützen, umgeben von flackernden Lichtern und großen roten Katzenaugen, die die Buchstaben GEFAHR bildeten. Aber noch bevor ich hundert Yards vor der Brücke war, ertönte der dumpfe Knall einer Explosion, und vor meinen Augen erglühte die Nacht in dem roten Schein von Flammen.
     
    Erst nach Sinclairs Begräbnis hatte ich Gelegenheit, mit meiner Großmutter zu sprechen. Vorher war jegliche Form von Unterhaltung unmöglich gewesen. Wir standen beide unter Schock und scheuten instinktiv vor der Erwähnung seines Namens zurück, als würde eine mühsam aufrechterhaltene Fassade zusammenbrechen, wenn wir nur über ihn sprächen. Darüber hinaus war so viel zu tun, wir hatten so viel zu erledigen und mußten so viele Menschen sehen. Alte Freunde wie die Gibsons und Will, den Gärtner, den Pfarrer und Jamie Drysdale, den Tischler aus Thrumbo, der sich mit einem dunklen Anzug und einem angemessenen Ausdruck frommer Düsternis in einen Beerdigungsunternehmer verwandelt hatte. Es gab Befragungen durch die Polizei und Telefonanrufe von der Presse. Wir nahmen Blumen und Briefe in Empfang, Dutzende von Briefen. Wir begannen sie zu beantworten, gaben aber schließlich auf und ließen sie auf dem Messingtablett in der Diele zu Stapeln wachsen.
    Meine Großmutter, die einer Generation angehörte, die sich bei dem Gedanken an den Tod nicht fürchtete und das entsprechende Zeremoniell nicht als bedrückend empfand, hatte auf einer richtigen, altmodischen Beerdigung beharrt. Sie hatte sie ohne sichtbare Gemütsbewegung durchgestanden, selbst als Hamish Gibson, der von seinem Regiment Urlaub genommen hatte, auf seinem Dudelsack The Flowers of the Forest spielte. Sie hatte die Choräle in der Kirche mitgesungen, stand eine halbe Stunde oder länger da und schüttelte Hände und dachte sogar daran, jenen zu danken, die auch nur die bescheidensten Aufgaben übernommen hatten.
    Aber jetzt war sie müde. Mrs. Lumley war, erschöpft von innerer Bewegung und vom Stehen, auf ihr Zimmer gegangen, um ihre geschwollenen Füße hochzulegen. Ich bat meine Großmutter, nachdem ich das Feuer im Wohnzimmer angezündet hatte, sich neben den Kamin zu setzen, und ging in die Küche, um eine Tasse Tee zu machen.
    Während ich gegen den warmen Ofen gelehnt darauf wartete, daß das Wasser kochte, starrte ich geistesabwesend durch das Fenster auf die graue Welt dahinter. Es war nun Oktober, der Nachmittag war kalt und still. Kein Windhauch bewegte die letzten paar Blätter an den Bäumen. Im Loch spiegelte sich der graue Himmel, es war glatt wie ein Silberblatt, die Hügel dahinter schwollen sanft an wie riesige Pflaumen. Morgen vielleicht oder übermorgen würden sie mit dem ersten Schnee überzogen sein – es war kalt genug dafür –, und wir hatten Winter.
    Das Wasser kochte, ich brühte den Tee auf und brachte ihn ins Wohnzimmer. Das Klirren des Teegeschirrs und das Knistern des Feuers hatten etwas Tröstliches, wie kleine Dinge es inmitten einer Tragödie immer haben.
    Meine Großmutter strickte eine Kindermütze aus scharlachroter und weißer Wolle für den

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