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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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die beste Therapie bei seelischem Kummer. Ich war gerade dabei, das Laub in eine bereitgestellte Schubkarre zu laden, als die Fenstertür aufging und David zu mir herauskam. Ich richtete mich auf, sah ihm entgegen, wie er über das Gras kam, groß, schlaksig, mit vom Wind verstrubbeltem Haar, und fragte mich in diesem Augenblick, wie wir die letzten paar Tage ohne ihn durchgestanden hätten. Er hatte alles gemacht, für alles gesorgt, alles arrangiert und sogar Zeit gefunden, eine Direktverbindung zu meinem Vater herstellen zu lassen, um ihm persönlich Sinclairs Tod mitzuteilen. Und ich wußte, was immer mit uns beiden geschehen würde, ich würde nie aufhören, ihm dankbar zu sein.
    Er nahm das letzte Stückchen des abschüssigen Rasens mit einem einzigen großen Schritt und stand neben mir. „Jane, was machen Sie mit dieser kleinen Handvoll Laub?“
    „Ich werfe es in die Schubkarre“, sagte ich und tat es. Die Blätter flatterten umher, und die meisten flogen wieder heraus.
    „Wenn Sie ein paar Holzstücke haben, die Sie drauflegen können, werden Sie den Prozeß beträchtlich beschleunigen. Ich habe Ihnen einen Brief mitgebracht …“
    Er holte ihn aus seiner geräumigen Tasche, und ich sah, daß er von meinem Vater war.
    „Wo haben Sie ihn her?“
    „Er war einem Schreiben an mich beigelegt. Er bat mich, ihn an Sie weiterzugeben.“
    Wir ließen Schubkarre und Besen stehen, gingen den Garten hinunter, sprangen über den Graben in das Feld und gingen weiter bis zu dem alten Anlegesteg. Dort setzten wir uns nebeneinander auf die vermodernden Bretter. Ich öffnete den Brief und las ihn David laut vor.
     
    Meine liebste Jane,
    es tat mir sehr leid, von Sinclairs Tod zu hören. Sicher waren es furchtbare Tage für Dich, aber ich bin froh, daß Du bei Deiner Großmutter sein konntest, zweifellos war Deine Nähe ein großer Trost für sie.
    Ich habe – schon seitdem Du fortgegangen bist – ein schlechtes Gewissen, weil ich Dich nach Elvie zurückkehren ließ, ohne Dich über Deinen Onkel Aylwyn ins Bild zu setzen. Aber irgendwie kam eins zum anderen, und bei den dramatischen Begleitumständen Deiner Abreise hat sich einfach keine Gelegenheit geboten. Ich habe es jedoch gegenüber David Stewart erwähnt, und er versprach, ein Auge auf Dich zu haben …
     
    „Davon haben Sie mir nie erzählt“, sagte ich.
    „Das war nicht meine Aufgabe.“ „Aber Sie wußten Bescheid.“ „Natürlich wußte ich Bescheid.“
    „Und Sie wußten auch über Sinclair Bescheid?“
    „Ich wußte, daß er höllisch viel von dem Geld Ihrer Großmutter durchbrachte.“
    „Es wird noch schlimmer kommen, David.“
    „Was meinen Sie damit?“
    „Sinclair starb mit einem schrecklichen Berg Schulden.“
    „Das habe ich befürchtet. Woher wissen Sie davon?“
    „Weil er es mir erzählt hat. Er hat mir eine Menge erzählt.“ Ich wendete mich wieder dem Brief zu.
     
    Der Grund, weshalb ich nie so besonders scharf darauf war, Dich nach Elvie zurückkehren zu lassen, war nicht so sehr Dein Onkel, sondern Dein Vetter Sinclair, genauer gesagt das, was mit großer Wahrscheinlichkeit aus ihm geworden war. Nachdem Deine Mutter gestorben war, schlug Deine Großmutter vor, ich solle Dich bei ihr lassen, und das wäre vermutlich die einfachste Lösung gewesen. Aber da war das Problem mit Sinclair. Ich wußte, wie sehr Du an ihm hingst und wieviel er Dir bedeutete, und ich war ziemlich sicher, wenn Du ihm weiterhin so nahe sein würdest, wäre der Tag nicht fern, an dem Dir das Herz gebrochen würde. Beides mußte schmerzhaft sein, wenn nicht katastrophal, und so behielt ich Dich stattdessen bei mir und nahm Dich mit nach Amerika.
     
    „Ich frage mich, wie er so sicher sein konnte, was Sinclair betrifft“, bemerkte David.
    Ich dachte an das Buch, an Goldsmiths „Belebte Natur“, und überlegte einen Augenblick, ob ich David die ganze Geschichte erzählen sollte. Doch dann entschied ich mich dagegen. Das Buch gab es nicht mehr. An dem Tag, nachdem Sinclair umgekommen war, hatte ich es aus seinem Schrank geholt, mit nach unten genommen, in den Ofen geworfen und zugesehen, wie es verbrannte. Nun war keine Spur mehr davon übrig, und es war am besten vergessen.
    „Ich weiß nicht … Instinkt nehme ich an. Er war schon immer ein sehr scharfsinniger Mensch, man kann ihn nicht hinters Licht führen.“ Ich las weiter:
    Dies war außerdem der Grund, weshalb ich so sehr zögerte, als Deine Großmutter bat, Dich nach Elvie kommen zu lassen. Es

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