Ende (German Edition)
hineinbissen. Jetzt kauen sie lustlos, ohne Appetit, mit finsterem Blick, niedergeschlagen, in sich versunken, grübelnd.
Amparo isst ihr Sandwich wie die anderen, aber ihr Blick hat etwas Gleichgültiges, ein Schleier der Abwesenheit liegt über ihrem Gesicht. Während sie die halbgekauten Bissen im trockenen Mund hin und her bewegt, lässt sie mit der trägen Neugier eines Kindes, das in eine neue Klasse versetzt wurde, ihren Blick schweifen: auf die grauen Müllkörbe, auf das schattenspendende Dach. Plötzlich, als wäre ihr etwas Wichtiges eingefallen, beginnt sie in ihren Hosentaschen zu wühlen. Sie zieht einen kleinen Gegenstand hervor.
Unauffällig, mit gesenktem Blick beobachtet María sie und runzelt die Stirn, als sie erkennt, dass es ein Handy ist. Amparo hat ihr Sandwich beiseitegelegt, direkt auf den Boden. María versucht, in Amparos Gesicht zu lesen, aber diese hält den Blick gesenkt, starrt konzentriert auf das Telefon, drückt wie besessen auf den Tasten herum.
María macht Anstalten, etwas zu sagen, sie öffnet den Mund. Aber dann schließt sie ihn wieder, seufzt nur, ihr Körper erschlafft, ihr besorgter, nachdenklicher Blick richtet sich auf das Fahrrad, das einige Meter entfernt steht.
Ginés, der links von María sitzt, hat nichts von alldem mitbekommen. Neben ihm, gleich am Stuhlbein, steht eine halb ausgetrunkene Saftflasche. Er kaut zerstreut, auch er mit abwesendem Blick, der verrät, dass er nachdenkt. Plötzlich stoppt der Gedankenfluss, der Blick wird starrer, das Kauen langsamer, immer langsamer, hört auf. Er sitzt jetzt reglos da, mit vollem Mund, das Sandwich auf Brusthöhe in beiden Händen.
«Jetzt weiß ich, wo wir noch nachschauen sollten», sagt er, hält das Sandwich noch etwas weiter von sich weg und starrt die Zapfsäulen an.
«Wo?», fragt María.
Ginés wartet einige Sekunden, bis er sich der Aufmerksamkeit der anderen sicher ist. Dann schluckt er seinen halbgekauten Bissen herunter und sagt, den Blick nach wie vor auf die Zapfsäulen gerichtet:
«In der Leichenhalle.»
«Bloß nicht», kommentiert María.
Diesmal zieht sich das Schweigen noch mehr in die Länge. María verharrt reglos und sieht zu Ginés, der noch immer in derselben Haltung dasitzt, als nähme er die Zapfsäulen in Augenschein. Nur die Hände, in denen er das Sandwich hält, hat er auf die Oberschenkel sinken lassen. Amparo zeigt keinerlei Reaktion. Als hätte sie nicht gehört, was Ginés gesagt hat, tippt sie auf dem Telefon herum, immer gebeugter, immer dichter an dem toten Display.
«Und nun?», fragt María vorsichtig, als fürchte sie die Antwort.
«Ich bin einfach neugierig», erwidert Ginés, dessen Stimme anzumerken ist, dass er sie neutral klingen lassen will. «Wenn die Leute nicht evakuiert wurden, sondern verschwinden, dann würde ich gern mal einen Toten sehen, ich meine jemanden, der gerade gestorben ist.»
«Gerade gestorben», wiederholt María nachdenklich.
«Ja, genau, vor dem Stromausfall», ergänzt Ginés und führt sein Sandwich wieder zum Mund, ohne jedoch hineinzubeißen.
María wendet den Blick von Ginés ab, sieht einige Sekunden lang nachdenklich auf den Boden und hebt dann schlagartig den Kopf.
«Vielleicht ist ja gar niemand gestorben», sagt sie. «Wir wissen ja nicht, ob jeden Tag … Wie viele Einwohner hat …?»
«Vierzigtausend.»
Die Antwort kommt von Amparo. Ginés und María schauen sie erstaunt an, aber sie beugt sich nach wie vor über ihr Handy. Wäre ihre Stimme nicht so unverwechselbar, würde man nicht vermuten, dass sie gerade etwas gesagt hat.
«Na, so was! Dann ist die Stadt ja ganz schön gewachsen!», bemerkt Ginés. «In dem Fall … Ich bin zwar kein Experte in Statistik, aber … Außerdem sind wir ja irgendwann in der Hauptstadt, und dort sterben immer Leute.»
«Es ist an!», ruft Amparo plötzlich. «Schaut mal: Es ist an!»
María und Ginés springen auf und umringen sie.
«Was? Lass mal sehen!», drängt Ginés, der Amparo das Handy am liebsten aus der Hand gerissen hätte, aber die hält es umklammert, dicht vor ihrem Gesicht.
Ginés und María bedrängen Amparo, führen ihre Köpfe dicht an sie heran, greifen nach ihren Händen, wollen das Handy zu sich her drehen.
Endlich gelingt es Ginés, einen Blick auf das Display zu werfen: «Es ist ja gar nicht an.»
«Was?», empört sich Amparo. «Natürlich ist es an! Du musst nur richtig hinschauen!»
Amparos Begeisterung verwandelt sich in Verblüffung, dann in ein
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