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Ender 4: Enders Kinder

Ender 4: Enders Kinder

Titel: Ender 4: Enders Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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berührte; und daß du, als du mich entschwinden fühltest, meinen Namen riefst.
     
    Lesend und schreibend saß Plikt allein in ihrem Zimmer. Auf diesen Tag hatte sie sich ihr ganzes Leben lang vorbereitet – die Rede für Andrew Wiggins Beisetzung zu schreiben. Sie würde seinen Tod sprechen – und sie hatte ausreichend Nachforschungen angestellt, um dazu in der Lage zu sein. Sie konnte eine volle Woche lang sprechen und immer noch nicht ein Zehntel dessen erschöpfen, was sie über ihn wußte. Aber sie würde nicht eine Woche lang sprechen. Sie würde eine einzige Stunde lang sprechen. Weniger als eine Stunde. Sie verstand ihn; sie liebte ihn; sie würde die anderen, die ihn nicht kannten, an dem teilhaben lassen, was er gewesen war, wie er geliebt hatte, wie die Geschichte anders verlaufen war, weil dieser Mann, brillant, unvollkommen, aber wohlmeinend und von einer Liebe erfüllt, die stark genug war, um, wenn nötig, auch Leid zuzufügen – wie die Geschichte anders verlaufen war, weil er gelebt hatte, und wie auch zehntausend, hunderttausend, eine Million individueller Leben anders verlaufen waren, gestärkt, geläutert, erhoben, besser oder wenigstens harmonischer und wahrhaftiger gemacht durch das, was er zeit seines Lebens gesagt und getan und geschrieben hatte.
    Und würde sie auch dies erzählen? Würde sie erzählen, wie bitterlich eine Frau sich allein in ihrem Zimmer grämte, weinte und weinte, nicht aus Trauer, daß Ender fortgegangen war, sondern aus Scham, sich endlich selbst zu verstehen. Denn obgleich sie ihn geliebt und bewundert hatte – nein, obgleich sie ihn angebetet hatte, diesen Mann –, war das, was sie empfunden hatte, als er starb, keineswegs Trauer, sondern Erleichterung und Aufregung gewesen. Erleichterung: Das Warten ist vorüber! Aufregung: Meine Stunde ist da!
    Natürlich war es das, was sie empfand. Sie war keine solche Närrin, daß sie von sich erwartet hätte, mehr als menschliche moralische Stärke zu beweisen. Und der Grund, warum sie nicht trauerte, so wie Novinha und Valentine trauerten, war, daß ihnen soeben ein großer Teil ihres Lebens genommen worden war. Was ist meinem genommen worden? Ender hat mir ein paar Bröckchen seiner Aufmerksamkeit hingeworfen, aber wenig mehr. Wir haben nur ein paar Monate miteinander gehabt, als er mein Lehrer auf Trondheim war; dann, eine Generation später, haben unsere Leben sich noch einmal berührt, während dieser wenigen Monate hier; und beide Male war er anderweitig beschäftigt, er hatte sich um wichtigere Dinge und Personen zu kümmern als mich. Ich war nicht seine Frau. Ich war nicht seine Schwester. Ich war nur seine Schülerin und Jüngerin – ein Mann, der mit Schülern fertig war und niemals Jünger haben wollte. Darum wurde mir natürlich kein großer Teil meines Lebens genommen, weil er nur mein Traum, niemals aber mein Gefährte gewesen ist.
    Ich vergebe mir, und dennoch kann ich der Scham und der Trauer, die ich empfinde, nicht Einhalt gebieten, nicht, weil Ender Wiggin gestorben ist, sondern weil ich mich in der Stunde seines Todes vor mir selbst als das enthüllt habe, was ich in Wirklichkeit bin: absolut egoistisch, nur um meine eigene Karriere besorgt. Ich habe mich entschieden, die Sprecherin von Enders Tod zu sein. Deshalb kann der Augenblick seines Todes nur die Erfüllung meines Lebens darstellen. Zu was für einer Art von Geier macht mich das? Zu was für einer Art von Parasiten, ein Blutegel an seinem Leben …
    Und dennoch fuhren ihre Finger fort zu tippen, Satz um Satz, trotz der Tränen, die ihr die Wangen hinunterliefen. Weit weg, in Jakts Haus, trauerte Valentine mit ihrem Ehemann und ihren Kindern. Drüben in Olhados Haus hatten sich Grego und Olhado und Novinha versammelt, um einander angesichts des Verlustes jenes Mannes zu trösten, der Gatte und Vater für sie gewesen war. Sie hatten ihre Beziehung zu ihm, und ich habe meine. Sie haben ihre privaten Erinnerungen; meine werden öffentlich sein. Ich werde sprechen, und dann werde ich veröffentlichen, was ich gesagt habe, und was ich jetzt schreibe, wird dem Leben Ender Wiggins in den Gedanken eines jeden Menschen auf hundert Welten eine neue Gestalt und eine neue Bedeutung geben. Ender der Xenozide; Andrew der Sprecher für die Toten; Andrew der Privatmensch, voller Einsamkeit und Mitgefühl; Ender der brillante Analytiker, der ins Herz der Probleme und der Menschen vorstoßen konnte, ohne abgelenkt zu werden von Furcht oder Ehrgeiz oder … oder

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