Ender 4: Enders Kinder
soll, und dann entsprechend handeln.«
»Was ist, wenn ich dir sage, daß ich das nicht will?«
»Willst du sterben?«
»Mir scheint, du bist derjenige, der versucht, mich umzubringen«, sagte Val. »Oder, um fair zu sein, du willst das nur unwesentlich weniger schlimme Verbrechen begehen, mich von meinem innersten Selbst abzuschneiden und es durch jemand anders zu ersetzen.«
»Jetzt stirbst du. Das Selbst, das du hast, will dich nicht.«
»Miro, ich fliege mit dir zur Schwarmkönigin, weil das nach einem interessanten Experiment klingt. Aber ich lasse nicht zu, daß du mich auslöschst, um mein Leben zu retten.«
»Also schön«, sagte Miro, »da du die völlig altruistische Seite von Enders Wesen vertrittst, laß es mich dir noch einmal mit anderen Worten erklären. Falls Janes Aiúa sich in deinem Körper unterbringen läßt, wird sie nicht sterben. Und wenn sie nicht stirbt, dann wird sie vielleicht, nachdem der Kongreß die Computerverbindungen unterbrochen hat, in denen sie lebt, und sie dann wiederhergestellt hat, in der Überzeugung, daß sie tot sei, vielleicht wird sie dann also imstande sein, sich wieder mit ihnen zu verbinden, und vielleicht muß der verzögerungsfreie Sternenflug dann nicht enden. Wenn du also stirbst, wirst du nicht nur Jane retten, sondern uns auch die Macht und die Freiheit schenken, so zu expandieren, wie wir niemals zuvor expandiert haben. Nicht nur wir, sondern auch die Pequeninos und Schwarmköniginnen.«
Val schwieg.
Miro richtete seine Aufmerksamkeit auf den Weg vor ihm. Zur Linken kam die Höhle der Schwarmkönigin näher, in einem Steilufer an einem Fluß. Er war schon einmal dort hinunter gestiegen, in seinem alten Körper. Er kannte den Weg. Natürlich war damals Ender bei ihm gewesen, und deshalb war es ihm möglich, mit der Schwarmkönigin zu kommunizieren – sie konnte zu Ender sprechen, und da jene, die ihn liebten und ihm nachfolgten, philotisch mit ihm verbunden waren, hörten sie die Echos ihrer Worte mit. Aber war Val nicht ein Teil von Ender? Und war er, Miro, nicht enger mit ihr verbunden, als er es je mit Ender gewesen war? Er brauchte Val bei sich, um mit der Schwarmkönigin zu sprechen; er mußte mit der Schwarmkönigin sprechen, um zu verhindern, daß Val ebenso ausgelöscht wurde wie sein alter, beschädigter Körper.
Sie stiegen aus, und tatsächlich, die Schwarmkönigin erwartete sie bereits; eine einzelne Arbeiterin wartete am Höhleneingang auf sie. Sie nahm Val bei der Hand und führte sie wortlos hinab in die Dunkelheit. Miro hielt sich an Val fest, Val an dem seltsamen Geschöpf. Es machte Miro genausoviel Angst wie beim ersten Mal, aber Val wirkte absolut furchtlos.
Oder war sie nur gleichgültig? Ihr innerstes Selbst war Ender, und Ender war es im Grunde ganz egal, was mit ihr geschah. Das machte sie so unerschrocken. Zu überleben war ihr gleichgültig. Alles, was für sie von Belang war, war die Aufrechterhaltung ihrer Verbindung zu Ender – das eine, was sie zwangsläufig umbringen mußte, wenn sie es aufrechterhielt. Ihr indes erschien es so, als versuche Miro, sie auszulöschen; aber Miro wußte, daß sein Plan die einzige Möglichkeit darstellte, irgendeinen Teil von ihr zu retten. Ihren Körper. Ihre Erinnerungen. Ihre Gewohnheiten, ihre Manierismen, alle Aspekte ihrer Erscheinung, die er überhaupt kannte, sie würden erhalten bleiben. Alle Teile von ihr, derer sie selbst sich bewußt war oder an die sie sich erinnerte, sie würden alle da sein. So weit es Miro betraf, würde es bedeuten, daß ihr Leben gerettet war, wenn jene fortbestanden.
Und sobald der Wechsel erst einmal bewerkstelligt war, wenn er sich denn überhaupt bewerkstelligen ließ, würde Val ihm dafür dankbar sein.
Und Jane auch.
Und alle anderen auch.
›Der Unterschied zwischen dir und Ender‹, sagte eine Stimme in seinem Geist, ein leises Murmeln hinter der Ebene des tatsächlichen Hörens, ›ist, daß, wenn Ender sich einen Plan ausdenkt, um andere zu retten, er sich und nur sich aufs Spiel setzt.‹
»Das ist eine Lüge«, sagte Miro zur Schwarmkönigin. »Er hat Mensch getötet, oder nicht? Es war Mensch, den er aufs Spiel gesetzt hat.«
Mensch war jetzt einer der Vaterbäume, die neben dem Tor der Stadt Milagre wuchsen. Ender hatte ihn langsam getötet, damit er im Boden Wurzeln schlagen und mit vollständigen Erinnerungen ins Dritte Leben überwechseln konnte.
»Vermutlich ist Mensch nicht wirklich gestorben«, sagte Miro. »Aber Pflanzer schon,
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