Ender 4: Enders Kinder
erregt, so engagiert – selbst wenn es sie auf unangenehme Weise selbstgefällig machte. Nein, da war noch etwas anderes.
Vielleicht war es nichts Komplizierteres als Angst um sein eigenes Leben. Der Heimatplanet des Descolada-Virus mußte ein Ort unvorstellbar fortgeschrittener Technologie sein, um in der Lage zu sein, etwas Derartiges zu erschaffen und es von Welt zu Welt zu schicken. Um den Antivirus zu erschaffen, der ihn überwinden und kontrollieren sollte, hatte Miros Schwester Ela ins Außen gehen müssen, da die Herstellung eines solchen Antivirus die Möglichkeiten menschlicher Technologie überstieg. Miro würde den Schöpfern der Descolada gegenübertreten und sich mit ihnen verständigen müssen, um sie dazu zu bewegen, keine weiteren zerstörerischen Sonden mehr auszusenden. Das ging über seine Kräfte. Eine solche Mission konnte er unmöglich ausfuhren. Er würde scheitern und mit seinem Scheitern alle Ramänner-Spezies gefährden. Kein Wunder, daß er sich fürchtete.
»Angesichts der Daten«, sagte Miro, »was meinst du? Ist das die Welt, nach der wir suchen?«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Val. »Es ist eine ziemlich neue Biosphäre. Keine Tiere, die größer wären als Würmer. Nichts, was fliegt. Aber auf diesen niedrigeren Stufen ein komplettes Artenspektrum. Kein Mangel an Vielfalt. Sieht nicht so aus, als sei jemals eine Sonde hier gewesen.«
»Tja«, sagte Miro. »Jetzt, da wir unsere wirkliche Mission kennen, werden wir da unsere Zeit damit vergeuden, einen vollständigen Kolonisierungsbericht über diesen Planeten zu erstellen, oder sollen wir weiterfliegen?«
Janes Gesicht erschien wieder über Miros Terminal.
»Überzeugen wir uns davon, daß Valentine recht hat«, sagte Jane. »Dann fliegen wir weiter. Es gibt genügend Kolonialwelten, und die Zeit wird knapp.«
Novinha berührte Enders Schulter. Er atmete schwer, geräuschvoll, aber es war nicht das vertraute Schnarchen. Das Geräusch kam aus seinen Lungen, nicht hinten aus seinem Rachen; es war, als hätte er lange die Luft angehalten und müsse jetzt tief Luft holen, um es wieder wettzumachen, nur war kein Atemzug tief genug, seine Lungen konnten nicht genug aufnehmen. Keuch. Keuch.
»Andrew. Wach auf.« Sie sprach mit scharfer Stimme, denn bisher hatte ihre Berührung immer noch ausgereicht, um ihn zu wecken, und diesmal reichte sie nicht aus, er rang weiter nach Luft, ohne die Augen zu öffnen.
Die Tatsache, daß er überhaupt schlief, überraschte sie. Er war noch kein alter Mann. Er machte spät am Morgen keine Nickerchen. Und doch lag er nun da, im Schatten auf dem Krocketrasen des Klosters, obwohl er ihr gesagt hatte, er werde ihnen beiden einen Schluck Wasser holen. Und zum ersten Mal kam ihr in den Sinn, daß er gar kein Nickerchen machte, daß er gestürzt sein, hier zusammengebrochen sein mußte, und nur die Tatsache, daß er auf dem Rücken liegend an einem schattigen Fleck gelandet war, die Hände flach auf der Brust, sie dazu veranlaßt hatte zu denken, daß er sich freiwillig dafür entschieden hatte, hier zu liegen. Etwas stimmte nicht. Er war kein alter Mann. Er sollte nicht so hier liegen und Luft einatmen, die nicht genug von dem enthielt, was er brauchte.
»Ajuda-me!« schrie sie. »Me ajuda, por favor, venga agora!« Ihre Stimme schwoll an, bis sie ganz gegen ihre Gewohnheit zu einem Kreischen wurde, einem panikerfüllten Geräusch, das sie noch mehr erschreckte. Ihr eigenes Kreischen erschreckte sie. »Êle vai morrer! Socorro!« Er wird sterben, das war es, was sie sich rufen hörte.
Und in ihrem Hinterkopf begann eine andere Litanei: Ich habe ihn an diesen Ort gelockt, zu der harten Arbeit dieses Ortes. Er ist genauso zerbrechlich wie andere Männer, sein Herz ist genauso schwach, ich habe ihn durch mein egoistisches Streben nach Heiligkeit, nach Erlösung, veranlaßt hierherzukommen, und statt mich von der Schuld für den Tod der Männer, die ich liebte, zu befreien, habe ich der Liste noch einen weiteren hinzugefügt. Ich habe Andrew umgebracht, genau wie ich Pipo und Libo umgebracht habe, genau wie ich irgendwie Estevão und Miro hätte retten sollen. Er stirbt, und wieder ist es mein Fehler, immer ist es mein Fehler, was immer ich tue bringt den Tod, die Menschen, die ich liebe, müssen sterben, um mir zu entkommen. Mamãe, Papae, warum habt ihr mich verlassen? Warum habt ihr von Kindheit an den Tod zu einem Bestandteil meines Leben gemacht? Niemand, den ich liebe, darf bleiben.
Das ist
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