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Enders Schatten

Enders Schatten

Titel: Enders Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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Rücksitzes, an die einzige Stelle, wo er zwischen den Vordersitzen hindurchschauen und sehen konnte, wohin das Auto fuhr.
    Einer der Soldaten setzte sich hinter das Steuer. Bean erwartete, dass der andere sich neben ihn auf den Rücksitz setzen würde, und er erwartete eine Auseinandersetzung darüber, ob Bean in der Mitte sitzen durfte oder nicht. Stattdessen stieg der Mann vorn auf der Beifahrerseite ein. Bean blieb auf dem Rücksitz allein.
    Er blickte aus dem Seitenfenster zu Schwester Carlotta. Sie tupfte sich die Augen immer noch mit einem Taschentuch ab. Sie winkte ein wenig. Er winkte zurück. Sie schluchzte ein wenig. Der Wagen rutschte auf der magnetischen Schiene in der Straße davon. Schon bald waren sie vor der Stadt, glitten mit hundertfünfzig Stundenkilometern durchs Land. Ihr Ziel war der Flughafen von Amsterdam, einer von dreien in Europa, von denen aus Shuttles in die Umlaufbahn starten konnten. Bean war fertig mit Rotterdam. Und zumindest im Augenblick war er auch mit der Erde fertig.
    Bean war noch nie in einem Flugzeug gewesen, und so verstand er nicht, wodurch es sich von einem Shuttle unterschied. Dabei schien das alles zu sein, worüber die anderen Jungen anfangs reden konnten. Ich hätte es für größer gehalten. Steigt es nicht senkrecht auf? Das war der alte Shuttle, Blödmann. Wieso gibts hier keine Tabletts? Das liegt daran, dass du bei Null-Schwerkraft sowieso nichts abstellen kannst, Idiot.
    Für Bean war der Himmel der Himmel, und bisher hatte ihn daran höchstens interessiert, ob es regnen, schneien oder stürmen würde. In den Weltraum zu fliegen kam ihm nicht seltsamer vor, als in die Wolken zu fliegen.
    Was ihn faszinierte, waren die anderen Kinder. Die meisten waren Jungen, und alle älter als er. Definitiv alle größer. Ein paar sahen ihn seltsam an, und hinter sich hörte er eines flüstern: »Ist das ein Kind oder eine Puppe?« Aber boshafte Bemerkungen über seine Größe und sein Alter waren ihm nicht neu. Tatsächlich überraschte es ihn, dass es nur die eine Bemerkung gab und die auch noch geflüstert wurde.
    Die Kinder faszinierten ihn. Sie waren alle so fett, so weich. Ihre Körper waren wie Kissen, ihre Wangen voll, ihr Haar dicht, ihre Kleidung saß gut. Bean wusste selbstverständlich, dass er jetzt mehr Fett an sich hatte als je zuvor, seit er den »Sauberen Ort« verlassen hatte, aber er sah sich nicht selbst, er sah nur sie, und er verglich sie unwillkürlich mit den Kindern auf der Straße. Sergeant hätte jeden von ihnen auseinandernehmen können. Achilles hätte … nun, es hatte keinen Sinn, über Achilles nachzudenken.
    Bean versuchte sich vorzustellen, wie diese Kinder sich vor einer Suppenküche aufstellten. Oder nach Bonbonpapierchen suchten, die sie ablecken konnten. Was für ein Witz! Sie hatten nie in ihrem Leben eine Mahlzeit versäumt. Bean wollte sie alle so fest in den Bauch boxen, dass sie alles rauskotzten, was sie an diesem Tag gegessen hatten. Sollten sie doch einmal diese Schmerzen in ihrem Magen spüren, diesen nagenden Hunger.
    Und dann am nächsten Tag wieder und in der nächsten Stunde, morgens und abends, im Wachen und Schlafen, die stetige Schwäche, die direkt in der Kehle flatterte, dieses flaue Gefühl hinter den Augen, die Kopfschmerzen, den Schwindel, das Anschwellen der Gelenke, das Aufblähen des Bauchs, das Schwinden der Muskeln, bis man kaum mehr die Kraft hatte, aufrecht zu stehen. Diese Kinder hatten noch nie dem Tod ins Gesicht geblickt und beschlossen, trotzdem weiterzumachen. Sie waren selbstsicher. Sie waren unvorsichtig.
    Diese Kinder haben gegen mich keine Chance.
    Und der nächste Gedanke kam mit ebenso großer Überzeugung: Ich werde sie nie einholen. Sie werden immer größer, stärker, schneller, gesünder sein. Glücklicher. Sie redeten prahlerisch miteinander, sprachen sehnsüchtig von Zuhause, spotteten über die Kinder, die sich nicht qualifiziert hatten mitzukommen, taten so, als verfügten sie über Insiderwissen über das, was in der Kampfschule passierte. Bean sagte nichts. Er hörte nur zu, beobachtete ihre kleinen Manöver. Einige von ihnen waren entschlossen, ihren Platz in der Hierarchie gleich hier und jetzt festzulegen, andere hielten sich zurück, weil sie wussten, dass ihr Platz weiter unten sein würde; eine Handvoll war entspannt und ruhig, weil sie sich nie

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