Enders
Diskussion um das Für und Wider einer Chip-Entfernung wurde so laut, dass man am Ende kein Wort mehr verstand.
Plötzlich trat Emma vor. »Ich will, dass mein Chip entfernt wird.«
Alle verstummten und wandten sich ihr zu.
Sie sah den Arzt an. »Los doch. Nehmen Sie ihn heraus!«
Der Doktor warf Dawson einen erstaunten Blick zu. »Wir haben eine Freiwillige.«
Sie hob eine Hand. »Ganz recht. Ich stelle mich hiermit als Versuchskaninchen zur Verfügung.«
»Emma, ist das dein Ernst?«, fragte ich.
»Warum, wolltest du den Anfang machen?«, entgegnete sie. »Dein Pech. Ich habe mich zuerst gemeldet.«
Hyden wandte sich ihr zu. »Weißt du überhaupt, worauf du dich da einlässt?«
»Versuch mir den Entschluss nicht auszureden. Ich hasse dieses Ding in meinem Kopf. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich diesen Schritt schon bereut habe.« Sie seufzte. »Ich will nicht, dass ich wie ein Fuchs aufgespürt, verfolgt und gehetzt werde.«
Emma hatte recht. Sie deutete auf mich.
»Du weißt, ihr alle wisst, dass diese Jagd ewig weitergehen wird … die Jagd nach unseren besonderen Talenten, die Jagd nach dem Chip selbst. Bringen wir es hinter uns und nehmen wir unser normales Leben wieder auf. Ich will zurück zu meiner Großmutter. Die Schule abschließen. Partys feiern. Der Krieg ist vorbei, aber ich muss immer noch kämpfen, Tag für Tag. Ich habe das so satt. Nehmt mich! Nehmt meinen Chip heraus!«
Einen Moment lang herrschte tiefe Stille. Dann räusperte sich Dawson.
»Der Mut der Jugend«, sagte er. »Bereiten wir alles für den Eingriff vor.«
Emma lächelte, unsicher, ob sie nun zufrieden sein oder Angst bekommen sollte. Während Dawson und der Doktor sich leise besprachen, beugte sie sich zu mir herüber und flüsterte: »Du solltest dich auch melden. Wer weiß, ob sie allen die Chance zu dieser Operation geben.«
Ich sah sie nur an, und ihr Lächeln wurde breiter, regelrecht glücklich, als sie in Begleitung des Doktors und eines Ender-Wachtpostens den Raum verließ.
Michael trat neben mich und legte mir eine Hand auf den Arm. »Glaubst du, dass sie wirklich in der Lage sind, diesen Chip zu entfernen?«
Ich warf Hyden einen fragenden Blick zu. Er schüttelte den Kopf. »Das ist Wahnsinn.«
Aber ich verstand Emma nur zu gut. Ich empfand das Gleiche wie sie. Meine ganze Sehnsucht richtete sich darauf, wieder ein normales Leben zu führen. Außerdem stimmte es, dass wir niemals sicher waren, so lange wir die Chips besaßen. Immer würde jemand versuchen, von uns Besitz zu ergreifen oder uns zu entführen, um an den Chip zu gelangen. Und in diesem Fall ließ ich mir die Schädeldecke lieber von einem Spezialisten als von einem Dieb öffnen.
Hyden allerdings, der einen tieferen Einblick in die Technologie des Neurochips als wir alle hatte, schien der Gedanke an Emmas bevorstehende Operation so mitzunehmen, dass er noch blasser geworden war.
»Mir wurde gesagt, dass der Chip sich selbst zerstört, wenn ihn jemand zu entfernen versucht. Um die Erfindung zu schützen.« Ich sah Hyden an. »Das entspricht offenbar nicht den Tatsachen.«
»Wir haben so manche Gerüchte in die Welt gesetzt, um die Spender zu schützen. Und im Lauf der Zeit haben sich Dichtung und Wahrheit vermischt. Wir glaubten schon selbst an das, was wir behauptet hatten. Ich hätte nie geglaubt, dass es zu einer solchen Situation kommen würde.«
Er wirkte geistesabwesend. Aufgewühlt. Michael hielt meine Hand, um mich zu trösten. Hyden sah es, und ich las Schmerz in seinem Blick. Ich wollte etwas tun, irgendetwas, das uns drei in diesem Moment verband, da wir darauf warteten, mehr über das Schicksal einer Leidensgenossin zu erfahren.
Ich streckte Hyden meine freie Hand entgegen.
Er schien überrascht. Und tat dann so, als habe er meine Geste nicht bemerkt.
Ich wusste, dass er Angst vor Berührungen hatte. Aber ich wollte ihm zumindest ein Gefühl der Zugehörigkeit geben.
Ein Ender brachte uns Kakao und Sandwiches. Kakao, ausgerechnet jetzt? Ich fand es geschmacklos und fühlte mich total verwirrt. Waren wir nun Gefangene oder Testpersonen? Würden sie uns von den verhassten Chips befreien? Aber was dann? Ohne die Chips hatten wir keinen Wert mehr für sie. Vielleicht war es dumm von uns zu hoffen, dass sie uns nach dem Eingriff gehen ließen.
Uns blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu sehen, wie die Operation bei Emma verlief. Wir schleppten einen Tisch und Stühle in eine Ecke der geräumigen Halle, weit
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